Kinkel soll Tudjman an die Leine nehmen

Bei seinem Bonn-Besuch fordert der bosnische Außenminster Silajdzic ein schärferes Vorgehen der Bundesregierung gegen die von Kroaten und Serben geplante Aufteilung Bosniens  ■ Aus Bonn Hasso Suliak

Als „kolossales Verbrechen“, bei dem die Welt nur untätig zuschaue, bezeichnete gestern in Bonn der bosnische Außenminister Haris Silajdzic die Situation in seinem Heimatland. Silajdzic war nach Bonn gereist, um mit der Bundesregierung die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zu besiegeln. Vor einem Gespräch mit Außenminister Kinkel bekräftigte der Bosnier in einer Presseerklärung seine Enttäuschung gegenüber der westlichen Staatengemeinschaft. Es sei letztlich auch „eine Schande“ für Europa, wenn mit den serbischen Kriegsführern verhandelt werde, diese aber nicht bestraft würden. Nach Einschätzungen der bosnischen Regierung hätten seit Kriegsbeginn weit über 140.000 Menschen ihr Leben verloren. Allein in einem Lager bei Manjanca seien in den letzten sechs Monaten täglich 50 Menschen getötet worden.

Nach Ansicht des Bosniers müsse Europa nunmehr unbedingt die UNO dazu bringen, das Waffenembargo gegen Bosnien-Herzegowina aufzuheben oder sogar selbst für Waffenlieferungen in das Kriegsgebiet sorgen. Diese Anliegen, so betonte Silajdzic, werde er auch gegenüber Außenminister Kinkel vorbringen. Kinkel hatte wiederholt bekräftigt, daß die Bundesregierung die territoriale Integrität Bosnien-Herzegowinas wahren wolle. Um so wichtiger erscheint es für die Bosnier nunmehr, daß die Bundesrepublik ihren Einfluß auf die Politik des kroatischen Präsidenten Tudjman, der Bosnien-Herzegowina gemeinsam mit Serbien aufteilen wolle, geltend mache.

Zwar betonte Silajdzic gegenüber der taz, daß das Verhältnis zwischen Kroatien und Bosnien „sehr freundschaftlich“ sei, fügte aber dann hinzu, daß es auch unter Freunden „durchaus Mißverständnisse geben könne“. Mittlerweile scheint es auch in Bonn kein Geheimnis mehr zu sein, daß die Bundesregierung regelrecht empört über die Position Zagrebs ist.

Ungeachtet des Waffenstillstandsabkommens gingen auch am Freitag die Kämpfe in Bosnien- Herzegowina weiter. Während jedoch der bosnische Rundfunk von schwerem Beschuß der Städte Gradacac und Brcko im Norden berichtete, sprachen die UNO- Friedenstruppen lediglich von geringfügigen Verletzungen. Sarajevo sei von einer Artillerie- sowie von jeweils drei Mörser- und Panzergranaten getroffen worden.

Im Rahmen der Massenevakuierung aus Sarajevo sind bisher 250 Menschen nach Belgrad, mehrere hundert nach Kroatien gebracht worden. Außerdem blieb eine unbekannte Zahl von Kroaten und Muslimanen bei Verwandten und Bekannten in Bosnien. Die an der kroatischen Grenze bei Vinjani in drei völlig überfüllten Bussen wartenden 160 Flüchtlinge sind nach Augenzeugenberichten der Verzweiflung nahe. Sie dürfen nicht weiterfahren, weil sie keine von den kroatischen Behörden in Zagreb ausgestellten Einreisevisa vorlegen können. Nach serbischen Militärangaben sind rund 500 Menschen vom Abbruch der Massenevkuierung aus Sarajevo am Mittwoch betroffen. Sie sollen am Samstag die Stadt verlassen.

Die Westeuropäische Union (WEU) hatte im August 1991 Pläne für einen militärischen Eingriff im ehemaligen Jugoslawien vorbereitet. Dies erklärte der ehemalige belgische Außenminister Mark Eyskens am Donnerstag bei der Vorstellung seines Buches über außenpolitische Fragen in den Jahren 1989 bis 1992.

Das Vorhaben der WEU sei jedoch nicht realisiert worden, da die Mitglieder der Verteidigungsorganisation nicht einig gewesen seien, sagte Eyskens ferner. Die Pläne sahen die Ausschaltung der serbischen Flotte in der Adria und der serbischen Luftwaffe vor. Der WEU gehören alle EG-LÄnder außer Irland, Dänemark und Griechenland an. Sie soll in Zukunft der verteidigungspolitische Arm der Gemeinschaft werden.