Mit der Wende kam die Angst

■ Die Äthiopierin Arfasse Gamada: "Im Sudan war jeder Dritte ein Flüchtling..."

Mit der Wende kam die Angst

Die Äthiopierin Arfasse Gamada: „Im Sudan war jeder Dritte ein Flüchtling...“

hierhin bitte die Frau

„Bis vor zwei Jahren habe ich in Deutschland keine Angst gekannt“, sagt die Äthiopierin Arfasse Gamada, die mittlerweile rund 15 Jahre Exilerfahrung in der Bundesrepublik hat. „Doch die Diskussion um den Artikel 16 hat vieles andere in Bewegung gesetzt“, so die 46jährige Mitbegründerin des Bremer Frauenprojekts „De Colores“. Heute gehören massive verbale Angriffe traurigerweise ebenso zu ihrem Alltag wie offener Rassismus.

Drei Bahnhöfe muß Arfasse

Gamada täglich auf dem Weg von Delmenhorst zu ihrem Arbeitsplatz bei der FrauenAnstiftung in Hamburg passieren. „Da halte ich meine Augen und Ohren weit offen“, erzählt sie. „Einmal fuhr mich eine Frau mit ihrem Gepäckwagen fast um. Und als ich ihr sagte, sie solle aufpassen, antwortete sie: Wenn ich Dich umfahre, dann gibt es zumindestens einen Ausländer weniger.“

Angefangen hat für die Äthiopierin alles mit ihrem Engagement für die Oromo Befreiungsbewegung. „Schon unter der Herrschaft des Kaisers Haile Selassie kämpften wir für die Selbstbestimmung unseres Volkes, der Oromo“, berichtet sie. Die Oromo sind die größte ethnische Gruppe in Äthiopien und werden schon seit Jahrhunderten unterdrückt. Auch die Revolution und die sozialistische Regierung brachte keine Besserung — Arfasse Gamada mußte schließlich mit ihrem Mann nach Kenia fliehen. „Aber die Oromo- Flüchtlinge wurden auch dort von äthiopischen Regierungsspitzeln weiter verfolgt und bedroht.“ Deshalb floh sie nach Deutschland.

Mit der Begründung, das Ehepaar Gamada sei „Mitglied einer terroristischen Vereinigung“, zog die äthiopische Botschaft in Deutschland ihre Pässe ein. Dieser Tatbestand und die damalige Praxis, daß Flüchtlinge aus sozialistischen Staaten grundsätzlich als politisch Verfolgte anerkannt wurden, ermöglichte ihr und ihrer Familie ein Bleiberecht in der BRD.

Seit dem Sturz der sozialistischen Regierung in Äthiopien im vergangenen Jahr liegt die Macht in den Händen einer anderen ethnischen Gruppe, der Tigre. „Obwohl die Verfolgung der politisch aktiven Oromo massiv fortgeführt wird, haben Oromo-Flüchtlinge heute in der BRD viel geringere Anerkennungschancen als zu meiner Zeit“, sagt Arfasse Gamada. Denn nach Ansicht der Bundesregierung gibt es in Äthiopien seit dem Zerfall des Sozialismus keinen Fluchtgrund mehr.

„Die ganze Diskussion um das Asylrecht kapiere ich einfach nicht“, regt Arfasse Gamada sich auf, „denn da steckt mehr dahinter als nur die Asylfrage.“ Als sie Oromo-Flüchtlinge im Sudan und Somalia besuchte, wo jeder Dritte ein Flüchtling ist, seien die Menschen trotzdem miteinander ausgegekommen. „Daß hier im reichen Deutschland so viel Wirbel um die Flüchtlinge gemacht wird, ist mir unbegreiflich.“ Silke Mertins