„Es wäre besser, ich verstünde kein Deutsch“

■ Die Cutterin Maria Caraivan, die in Rumänien bedroht wurde, flüchtete mit ihrer Familie nach Berlin/ Aber in Deutschland wird ihr politisches Asyl verweigert

Berlin. „31,40 Quadratmeter Wohn- und Nutzfläche“, steht säuberlich auf dem Aufkleber rechts oben an der Zimmertür des Flüchtlingsheims. Das macht acht Quadratmeter pro Person. Hier lebt seit Juli das Ehepaar Caraivan aus Rumänien mit der 16jährigen Tochter und dem 10jährigen Sohn. Das Doppelstockbett der Kinder ist nur durch einen Vorhang vom Wohn- und Schlafzimmer der Eltern getrennt. Eine zwei Quadratmeter große Nische im Flur dient als Küche.

Aber nachdem sie ein Jahr und acht Monate in einem Container verbracht haben, erscheint den Caraivans das Einzimmerappartement in dem früheren Berliner Studentenwohnheim geradezu luxuriös. Sie haben es sich gemütlich gemacht. Freunde schenkten ihnen zwei Wandschränke, den Vorhang, eine Palme. Der Fernseher läuft. „Manchmal denke ich, es wäre besser, wenn ich kein Deutsch verstehe“, sagt Maria Caraivan. „Es wird im Fernsehen zuviel über die Probleme von Asylanten geredet. Dieser Haß wird nur von den Politikern geschürt. Die Leute hier sind nicht so rassistisch.“

Maria Caraivan ist hier, weil sie nicht zu denen gehört, die den Mund halten. Als die 41jährige Cutterin nach der Revolution vom Spielfilmstudio zum Fernsehen wechselte, fingen die Probleme an. „Als ich es abgelehnt habe, Sendungen zu manipulieren, habe ich Schwierigkeiten bekommen“, berichtet die Frau aus Bukarest. „Es gibt keine freie Meinungsäußerung in Rumänien“, sagt sie. „Und wenn die Leute nicht bereit sind, die Lüge mitzumachen, sind sie von der Entlassung bedroht.“ Sie wollte „nicht mit solchen Lügen weiterleben“. Von der politischen Entwicklung in Rumänien nach der „Revolution“ ist sie zutiefst enttäuscht. „Wir sprechen immer von ,Revolution‘, aber es war keine.“ Resigniert stellt sie fest: „Es sind noch immer die gleichen Leute an der Macht.“

Früher half das rumänische Fernsehen, den Diktator Ceausescu zum Mythos aufzubauen, nach der Revolution wurde es zur Stütze der neuen Machthaber. Um gegen die staatliche Einflußnahme auf die Sendungen zu protestieren, nahm Maria Caraivan im März 1990 mit 20 Kolleginnen an einem dreitägigen Hungerstreik im Haus des Verbandes der Kinoleute teil. „Nieder mit der Securitate!“ stand auf ihrem Transparent. Denn die Geheimpolizei, sagt sie, kontrolliert weiter die Sendungen. Marias Mann Marian, von Beruf Kameramann, drehte damals mit einem befreundeten Regisseur einen Dokumentarfilm über den Hungerstreik. Er filmte noch, als von der Regierung aufgehetzte Bergleute auf das Unigelände vordrangen. Wie viele andere wurde er zusammengeschlagen und lag zwei Tage im Krankenhaus. Sieben Menschen wurden getötet.

Einen Tag zuvor erlebte Maria Caraivan, wie Teilnehmer einer angeblich gegen Illiescu gerichteten Demonstration, den Fernsehsender stürmten. Offensichtlich waren aber Securitate-Leute darunter. Wie sonst ist zu erklären, fragt sich die Cutterin, daß die „Demonstranten“, sofort den Weg in die Nachrichtenredaktion fanden? „Ich arbeitete damals gerade drei Monate dort und fand mich im Labyrinth der Gänge kaum zurecht.“ Merkwürdig fand sie auch, daß die „Demonstranten“ ganz bestimmte KollegInnen drangsalierten und bedrohten.

In einem Klima der Angst entschloß sich die Familie zur Flucht. Einige Tage konnten sie bei der Schwester ihres Mannes bleiben, die mit einem Deutschen verheiratet ist und seit 25 Jahren in Deutschland lebt. Dann meldeten sie sich bei der Polizei. Die schickte sie zur Ausländerbehörde. Zwei Tage lang warteten sie Tag und Nacht vor dem Gebäude. An das Datum der Flucht erinnert sich Maria Caraivan nicht mehr – dafür aber an den 2.Juli 1990, als sie endlich bis zu einem Sachbearbeiter durchdrangen.

Im September 1991 wurden die Caraivans zu den Gründen ihrer Flucht befragt. Ihr Asylantrag wurde im Juni 1992 als „unbegründet“ zurückgewiesen. Es gebe keine Hinweise, daß die Antragsteller politisch verfolgt worden seien oder im Falle ihrer Rückkehr mit politisch motivierter Verfolgung zu rechnen hätten, heißt es im Ablehnungsbescheid. Die politische Lage in Rumänien habe sich verändert, in der Zwischenzeit fänden dort rege politische Diskussionen statt. Gegen die Entscheidung haben die Caraivans Widerspruch eingelegt.

Das Warten und die erzwungene Untätigkeit fallen ihnen schwer. „Wir schämen uns, zum Sozialamt gehen zu müssen. Wir waren so aktive Leute, jetzt dürfen wir nicht arbeiten und beschäftigen uns mit Deutschlernen“, sagt sie.

„Ich muß meinen Beruf zum Hobby machen“, sagt Marian Caraivan. Der 52jährige hat 30 Jahre als Kameramann zuerst beim Spielfilm und seit der Revolution beim Fernsehen gearbeitet. Jetzt hilft er unbezahlt als Kameramann bei einem griechisch-deutschen Fernsehprogramm aus.

„Ich bin der einzige Profi im Team“, sagt er ein wenig stolz und zeigt die Presseausweise von der Tagung der Sozialistischen Internationale, der Grünen Woche und der Internationalen Tourismusbörse. „Kollegen von anderen Kamerateams sind immer ganz erstaunt, wenn sie feststellen, daß ich Asylbewerber bin.“ Auch Maria Caraivan hat Fuß gefaßt in Berlin. Sie bereitet sich auf eine einjährige Ausbildung zur Erzieherin und Sozialarbeiterin vor. Dennoch sagt sie: „Für uns ist keine Zukunft hier, wir denken nur an unsere Kinder.“

Und was wird, wenn ihre Klage abgewiesen wird? Ihre Wohnung ist aufgelöst worden, es wird schwer sein, Arbeit zu finden. „Und sie werden uns beobachten“, befürchtet Maria Caraivan, „ich will so weit nicht denken. Ich weiß nur, daß wir hierbleiben müssen.“ Dorothee Winden