In Berlin immer weniger Asylanträge

■ Zuteilung bringt trotzdem mehr Flüchtlinge in die Stadt/ Nur 0,28Prozent der Wohnbevölkerung sind Asylbewerber

Berlin. Herrn Engels vom Statistischen Landesamt ist es schnuppe: 366.543 Berliner sind Ausländer, 10,6 Prozent, damit hat sich's. Ob Kontingentflüchtlinge, Asylbewerber oder anerkannte Flüchtlinge – das Melderegister macht keinen Unterschied zwischen ihnen. Anderen ist das nicht egal. Immer mehr Ausländer gelangen in die Bundesrepublik, indem sie sich auf das Asylrecht berufen.

Bis Ende Oktober 1992 stellten im Bundesgebiet 368.000 Personen einen Antrag auf Anerkennung als politische Flüchtlinge. In Berlin jedoch ging im gleichen Zeitraum die Zahl dieser Antragsteller zurück. Genau 9.614 Personen, 2.375 weniger als noch im gleichen Zeitraum des Vorjahres, stellten bis Ende Oktober 1992 einen Antrag. Harald Fiss vom Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben vermutet, daß mehr Flüchtlinge die Zentralstelle in Eisenhüttenstadt aufsuchen, die früher ihren Antrag in Berlin gestellt hätten. Denn weniger Asylsuchende kommen am Flughafen Schönefeld aus außereuropäischen Ländern an.

Die Zahl der Flüchtlinge aus osteuropäischen Ländern, die auf dem Landwege anreisen, wächst dagegen in den letzten Jahren, darunter vor allem solche aus den Kriegsgebieten des ehemaligen Jugoslawien. Diese stellen ihren Asylantrag direkt hinter der Grenze und warten nicht, bis sie in Berlin sind. Dennoch ist auch in Berlin die Zahl der Antragsteller aus Ex- Jugoslawien beträchtlich. 2.371 von insgesamt 7.781 Antragstellern bis Ende Juni 1992 stellten ihren Antrag in Berlin.

Für die Stadt Berlin markiert ein Rückgang der Zahl von Anträgen keineswegs einen Rüchgang von Asylsuchenden, denn nach einem bundesweiten Quotierungssystem, dem „Königsteiner Schlüssel“, werden in ganz Deutschland die Flüchtlinge proportional zur Wohnbevölkerung auf die Bundesländer verteilt. Berlin muß nach diesem Schlüssel 2,26 Prozent aller Asylbewerber, die in Deutschland einen Antrag gestellt haben, aufnehmen. Die rapide bundesweite Zunahme von Anträgen gegenüber 1991 sorgte dafür, daß die Zahl der Asylbewerber in den Heimen Berlins von 3.773 auf 8.436 anstieg. Diese Zahl bezieht sich auf diejenigen Asylbewerber, die bereits einen Antrag gestellt haben und auf die Länder verteilt wurden. Hinzu kommen noch rund 1.500 Asylbewerber, die noch keinen Antrag gestellt haben. Dennoch: Auch nach diesem Zuwachs beträgt der Anteil von Asylbewerbern an der Wohnbevölkerung ganze 0,28Prozent. Auf einen Asylbewerber kommen 350 Berliner. Auch gegenüber der Gesamtzahl von 350.000 Ausländern, die vom Wohl und Wehe des Artikel16 nicht betroffen sind, machen die Asylbewerber ganze 2,8Prozent aus.

Gerade die Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien haben als Kriegsflüchtlinge eher geringe Chancen, nach dem geltenden Asylrecht als politische Flüchtlinge anerkannt zu werden, fällt doch Krieg nicht unter den herrschenden Begriff von politischer Verfolgung. Aus humanitären Gründen werden Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien aber nicht in den Krieg zurückgeschickt, auch wenn ihre Asylanträge als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt werden. Selbst wenn sie keinen Asylantrag stellen, erhalten sie und andere Kriegsflüchtlinge als „de-facto-Flüchtlinge“ ein begrenztes Bleiberecht. Das stellt sie für die Zeit, in der die Bedrohung in den Heimatländern andauert, anerkannten asylberechtigten Flüchtlingen gleich. Auf dieser Basis leben zur Zeit etwa 5.000 Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien in Berliner Heimen, weitere 3.500 sind in Berliner Familien untergebracht.

Einen vergleichbaren Status genießen Flüchtlinge, die im Rahmen internationaler humanitärer Hilfsaktionen durch eine Übernahmeerklärung des Bundesinnenministers in Deutschland aufgenommen wurden, die sogenannten Kontingentflüchtlinge. Vor einigen Jahren waren dies vor allem „Boat-People“ aus Vietnam, von denen nur noch 100 in Wohnheimen Berlins leben, wie Elke Pohl, die Pressesprecherin der Sozialverwaltung betont. Heute bilden mit rund 5.000 Flüchtlingen den größten Teil an Kontingentflüchtlingen die Juden aus der Ex-UdSSR, nur 1.000 von ihnen leben allerdings in Heimen. Ungeklärt ist die Zukunft der ehemaligen Vertragsarbeiter, die zu DDR-Zeiten befristet bis zu fünf Jahren in Betrieben beschäftigt wurden. Rund 3.000 Vietnamesen, 900 Kubaner, 500 Mosambikaner und 100 Angolaner warten in Berlin auf die Klärung ihrer Rechtssituation durch eine Entscheidung der Konferenz der Innenminister.

Stephan Elsemann