Irrungen in der Asylrechtsdebatte

Die völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Grenzen der Asylrechtsreform/ Ein Austausch des Artikel 16 durch die Genfer Flüchtlingskonvention würde wenig ändern  ■ Von Professor Dr. Otto Kimminich

Die Diskussion um das Asylrecht ist nicht neu. Rechtsprechung und Rechtslehre erörterten die Frage etwaiger Grenzen des verfassungsrechtlichen Asylrechts von Anfang an — jedoch mit zunehmender Intensität seit 1953, als das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Zirndorf eingerichtet wurde. Das Verfahren richtete sich damals noch nach der Ausländerpolizeiverordnung. Erst 1965 nahm der Gesetzgeber Vorschriften über das Asylverfahren in das Ausländergesetz auf, 1982 wurden sie wieder aus dem Ausländergesetz herausgenommen. Seither gilt das Asylverfahrensgesetz, das am 9. April 1991 in neuer Fassung bekannt gemacht worden ist. Rechtsgrundlage für die Asylgewährung in der Bundesrepublik Deutschland war aber stets Artikel 16 Abs. 2 Satz 2 GG: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“

Die ursprüngliche Fassung des Asylrechtsartikels im Grundgesetzentwurf hatte gelautet: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht im Rahmen des Völkerrechts.“ Diese Formulierung wurde abgelehnt, weil der Parlamentarische Rat nicht den Eindruck einer Grundrechtsbegrenzung erwecken wollte. Nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes unternahmen einige Gerichte den Versuch, das Asylgrundrecht dennoch gerade unter Hinweis auf das Völkerrecht einzuschränken.

Der Hintergrund dieses Arguments erscheint auf den ersten Blick plausibel; im Völkerrecht ist die Asylgewährung ein Recht der souveränen Staaten, nicht aber ein individuelles Recht des politisch Verfolgten. Diese Feststellung wirkt auf den ersten Blick schockierend. Sie ist es auch, wenn man danach strebt, das Asylrecht weltweit als Menschenrecht zu etablieren. Aber sie schützt immerhin die Ausgestaltung der Asylgewährung als individuelles Recht in innerstaatlichen Rechtsordnungen wie in der Bundesrepublik Deutschland. Denn wenn die Asylgewährung ein Recht der souveränen Staaten ist, so steht es jedem souveränen Staat frei, in seiner Verfassung einen Rechtsanspruch auf Asylgewährung unter bestimmten Voraussetzungen zu verankern.

Es hat nicht allzu lange gedauert, bis sich diese Erkenntnis in der Bundesrepublik Deutschland durchsetzte. Als Konsequenz daraus wurde in einer zweiten Phase versucht, das Grundrecht des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG mit „immanenten Schranken“ zu versehen. Solche Schranken werden aus der Verfassung selbst abgeleitet, insbesondere aus Art. 2 Abs. 1 GG, nach welchem das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit seine Schranken in den Rechten anderer, der verfassungsmäßigen Ordnung und dem Sittengesetz findet. Doch ist es problematisch, diese ausdrücklich in Art. 2 GG beschriebene Schrankentrias auf andere Grundrechte zu übertragen und einen allgemeinen, ungeschriebenen „Gemeinschaftsvorbehalt“ zu konstruieren. Bezüglich des Asylrechts fand diese Argumentation ihr Ende mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Oktober 1975, in dem ausdrücklich festgestellt wurde: „Das Grundrecht des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG hat keine immanenten Schranken.“

Asylgrundrecht kommt in Verruf

Die Schrankenlosigkeit und Unbeschränktheit des Asylgrundrechts kam mit steigenden Asylbewerberzahlen immer mehr in Verruf. Doch alle Vorschläge, Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG dahingehend zu ergänzen, daß entweder der Begriff des politisch Verfolgten in der Verfassung selbst enger definiert wird oder durch einen sogenannten Gesetzesvorbehalt dem einfachen Gesetzgeber die Möglichkeit gegeben wird, das Grundrecht zu beschränken, erwiesen sich als unbrauchbar. Mit dem Problem, den Begriff des politisch Verfolgten zu definieren und im Einzelfall praktikabel zu machen, ist die Rechtsprechung durchaus fertiggeworden. Daß dies mit einem großen Aufwand von juristischem Sachverstand erfolgte, darf niemanden verwundern.

Es ist auch keine Besonderheit des Asylgrundrechts. Jede Definition des politisch Verfolgten in der Verfassung selbst bedürfte wieder der Umsetzung in die Praxis der Asylanerkennung und deren gerichtliche Nachprüfung, so daß letztlich dieselben Fragen zu beantworten wären wie vorher. Aber auch die Hinzufügung eines Gesetzesvorbehalts würde die juristischen Probleme nicht lösen, weil dann die Wesengehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG eingreifen würde.

Mit Recht konzentrieren sich daher die Versuche zunächst auf eine Beschleunigung des Verfahrens, um die große Zahl der unbegründeten Asylanträge möglichst rasch einer Entscheidung zuzuführen. Als Problem wurden vor allem die unbegründeten Asylanträge empfunden. Als Problem deshalb, weil die bloße Geltendmachung des Asylanspruchs gemäß Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG eine Vorwirkung für die Dauer des Asylverfahrens entfaltet, die nicht nur ein Bleiberecht, sondern auch einen Anspruch auf menschenwürdigen Lebensunterhalt während dieses Aufenthalts begründet. Wer als politisch Verfolgter in die Bundesrepublik Deutschland kommt, ist Grundrechtsträger vom Augenblick des Grenzübertritts und nicht erst vom Zeitpunkt der Entscheidung an. Wer sich zu Unrecht auf Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG berufen hat, war zu keiner Zeit Grundrechtsträger. In der Fachliteratur ist deshalb gelegentlich vom „Asylbewerberrecht“ gesprochen worden, das wegen der großen Zahl von unbegründeten Asylanträgen als Ärgernis empfunden wurde und wird. Das Bundesverfassungsgericht hat in zahlreichen Entscheidungen festgestellt, daß jedes Grundrecht, auch das Grundrecht auf Asyl, verfahrensrechtliche Ausstrahlungen hat.

Asylrecht darf durch Verfahrensvorschriften nicht ausgehebelt werden

Der dem Gesetzgeber zur Verfügung stehende Spielraum für die Verkürzung des Asylverfahrens ist daher durch die Verfassung begrenzt. Ob er durch die bisher zur Verfahrensbeschleunigung ergriffenen Maßnahmen ausgeschöpft ist, gehört zu den umstrittenen Fragen. Eine Verfassungsänderung, die das Grundrecht auf Asyl als solches unangetastet läßt, kann diesen verfassungsrechtlichen Spielraum nicht erweitern.

Doch selbst eine völlige Beseitigung des Asylgrundrechts würde dem Gesetzgeber keine schrankenlose Freiheit eröffnen, sofern an der Tradition der Asylgewährung festgehalten wird. Selbstverständlich kann Asyl auch auf der Grundlage einfacher Gesetze – ohne verfassungsrechtliche Garantie eines individuellen Rechts auf Asyl – gewährt werden. Die Entscheidung über einen solchen Asylantrag ist aber ebenfalls ein Verwaltungsakt, der rechtsstaatlicher Kontrolle unterliegt. Ja, selbst die Ausgestaltung der Asylgewährung als Gnadenakt würde nicht von der Beachtung rechtsstaatlicher Grundsätze befreien.

Alle diese Erkenntnisse haben dazu geführt, daß der Behandlung abgelehnter Asylbewerber immer größere Aufmerksamkeit gezollt wurde. Auch dieses Argument erscheint plausibel: Würde man die unbegründeten Asylanträge rasch zur Entscheidung bringen und die rechtskräftig abgelehnten Asylbewerber unverzüglich außer Landes bringen, so wären die Hauptprobleme gelöst; denn die wirklich Asylberechtigten will in der Tat niemand behelligen.

Aber die Durchführung dieser keineswegs rechtsstaatswidrigen Absicht stößt auf Schwierigkeiten. Da sind einmal die Probleme der schnellen und effektiven Abschiebung. Zum anderen ist die Tatsache zu berücksichtigen, daß viele Asylbewerber während des Verfahrens ein anderweitiges Bleiberecht erwerben, und sei es auch nur als ausländerrechtliche Duldung.

Die „Ersetzung“ des Asylgrundrechts durch die Genfer Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951 kann keines dieser Probleme lösen. Zuallererst ist daran zu erinnern, daß diese Konvention schon seit 1953 auch als innerstaatliches deutsches Recht gilt. Mit der Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG erwirbt der Anerkannte zugleich die Rechtsstellung als „Konventionsflüchtling“. Die Frage, wie Personen, die unter die Flüchtlingskonvention fallen, aber nicht den strengen Erfordernissen des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG entsprechen und den Rechtsstatus als Konventionsflüchtling erhalten, ist lange Zeit ungeklärt geblieben. Erst das Gesetz zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 9. Juli 1980 hat durch §51 insofern eine Klärung gebracht, als die Abschiebung eines Ausländers in einen Staat, „in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist“, verboten wird.

Die Definition entspricht wörtlich derjenigen in Art. 1 A der Flüchtlingskonvention. Aber ein Recht auf Flüchtlingskonvention regelt den Rechtsstatus von bereits aufgenommenen Flüchtlingen. Eine Pflicht der 107 Signaturstaaten zur Asylgewährung begründet sie nicht. Das gilt sogar für Art. 33 Abs. 1, der folgenden Wortlaut hat: „Keiner der vertragsschließenden Staaten wird einen Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde.“ Die vertragsschließenden Staaten sind nicht dazu verpflichtet, daraus eine Pflicht zur Asylgewährung konstruieren zu lassen. Dies ist bei zahlreichen Gelegenheiten, in denen der Versuch gemacht wurde, das Asylrecht als allgemeines Menschenrecht zu etablieren, deutlich geworden. Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention schützt daher nur die bereits im Land befindlichen Flüchtlinge vor der Ausweisung und Zurückweisung in die in diesem Artikel näher beschriebenen Staaten.

Für die Bundesrepublik Deutschland hatte der Artikel bisher keine praktische Bedeutung, weil die gesamte Problematik von der Handhabung des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG abgedeckt wurde. Würde man Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG abschaffen oder dahingehend ergänzen, daß er nur noch den Inhalt von Art. 33 der Flüchtlingskonvention hätte – was einer Abschaffung des Asylgrundrechts gleichkäme –, so würden die gesamten Probleme der Definition des politisch Verfolgten, die bisher bei der Handhabung von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG zu lösen waren, bei der Anwendung von Art. 33 der Flüchtlingskonvention im selben Umfang und mit derselben Intensität zutage treten.

Der Autor ist Professor für Rechtswissenschaft an der Universität Regensburg.