13 Jahre Haft für eine Kurzschlußhandlung?

■ Staatsanwältin plädiert im Prozeß gegen 22jährige Marzahnerin auf Totschlag

Moabit. „Ich weiß nicht, ob ich ihren Antrag ernst nehmen soll“, fragte sich gestern Verteidiger Stiewe in seiner Antwort auf das Plädoyer der Staatsanwältin. „Dem Schicksal dieser 22jährigen wird es nicht gerecht, daß sie 13 Jahre in den Bau soll.“ Grit A. steht unter Mordanklage vor dem Berliner Landgericht: Am 21.April dieses Jahres soll sie ihren knapp drei Monate alten Sohn Alex in den Marzahner Wuhletalbach gekippt haben. Nach der Tat tischte sie der Polizei zunächst die Geschichte auf, das Baby sei von Skinheads entführt worden. Als Alex am 26. April tot aus der Wuhle geborgen worden war, gestand sie bei Vernehmungen zunächst, das Kind aus dem Kinderwagen gekippt zu haben. Im Gerichtssaal revidierte sie diese Version: Ein Unfall sei es gewesen. Die Staatsanwältin münzte zwar die ursprüngliche Mordanklage gegen die 22jährige in Totschlag um, sie folgte aber nicht dem Gutachten eines psychiatrischen Sachverständigen, der der Angeklagten verminderte Schuldfähigkeit bescheinigt hatte. Mit 13 Jahren Haft forderte sie eine Strafe, die nur knapp unter der Höchststrafe von 15 Jahren für Totschlag liegt. In ihrer Begründung hob die Staatsanwältin die niederen Motive der Angeklagten hervor. Sie sei unzufrieden mit ihrem Leben gewesen. Rücksichtslos habe sie sich gegen das Kind verhalten und egoistisch gegenüber ihrem Lebensgefährten, dem Vater des Kindes, der endlich einen Beruf gefunden hatte, der ihm Spaß machte und deswegen viel arbeitete: „Sie fühlte sich vernachlässigt und wollte sich mit der Tat auch an ihm rächen.“ Die Staatsanwältin räumte lediglich ein, daß die Angeklagte „aufgrund ihrer Egozentrik“ ihre niederen Beweggründe nicht habe erkennen können.

Die Höhe der geforderten Strafe schien Verteidiger Stiewe zu überraschen. Er forderte eine mildere Strafe, mit der die Angeklagte „leben kann“, und bemängelte, daß die Staatsanwältin so manches nicht verstanden habe oder nicht verstehen wolle. Der Sachverständige habe dem Gericht einen ganzen Katalog von Fakten vorgelegt, der zum Verständnis des Falles nötig sei. Das dürfe von der „Juristerei“ jetzt nicht abgetan werden. Folgerichtig habe der Sachverständige aus der seelischen Störung der Angeklagten die „Kurzschlußreaktion“ am Tatabend erklärt, ebenso ihre Erinnerungslücken über das Geschehen glaubhaft machen können. Auch die Überforderung von Grit A. sei offensichtlich, und ihre Lebenssituation längst nicht so einfach zu erklären, wie es die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer getan habe. Sie habe das Gefühl gehabt, daß „ihr niemand beisteht, und war beziehungslos zu ihrer Umwelt“. Der Verteidiger kritisierte zudem, daß sich die Staatsanwältin weiter auf die Aussagen der Angeklagten bei der Polizei stütze. Viel zu spät sei diese belehrt worden, daß sie als Beschuldigte gelte, und als sie schließlich ihre Situation begriffen und Rücksprache mit einem Anwalt gefordert habe, sei „schlicht nichts passiert“. rak

Das Urteil ergeht am Montag.