Rabenthal das Rabenaas

Premiere im Münchner Residenztheater: Jörg Grasers Tragikomödchen um Fisch und Tod  ■ Von Brigitte Werneburg

Ja mei, ein österreichischer Snob macht Witze auf Kosten derer, die schon immer die Opfer sind; auf Kosten der Ehefrau, des Kochs, des Dieners und der alten Dame. Und eigentlich geht es ja um die Essenz des Lebens, um den Tod.

Mäßiger Beifall des mäßig verwirrten Premierenpublikums im Münchner Residenztheater angesichts eines mäßig amüsanten und mäßig geistreichen Stücks von Jörg Graser. Auch als der Dramatiker und vielfach mit Preisen ausgezeichnete Filmemacher auf der Bühne erscheint, belebt sich der matte Applaus keineswegs.

Die Dialektik ist von übel, kommt man nicht umhin zu sagen – im Hausgebrauch. Hegels Sage von Herr und Knecht ist zwar für diesen eigentlich nicht gedacht, aber natürlich kann man sie in Wien, bitteschön, in einer Gaststube, einer Küche, in einem Lotterbett und auf einem Bankett durchaus durchexerzieren. Dann kommt dabei heraus, daß man erst frieren können muß, um zu wissen, was Wärme ist; daß man erst den Tod gespürt haben muß, um zu wissen, was Leben ist; daß man erst weinen können muß, um Musik hören und tanzen zu wollen, der Wunsch gilt: It's a beautiful world und die Erfüllung ist: Let's twist again. Ja, mei. Die Diener und Köche helfen traditionellerweise den Herrn bei solcherlei Erfahrungen ungemein. Denn traditionellerweise haben die da unten mit dem Leben einen besseren Konnex, um in der Sprachfärbung zu bleiben, eben weil sie auch mit dem Tod eher auf du und du stehen. In der Geschichte von der sexuellen Abhängigkeit sind sie die Helden und die höheren Töchter ihre Opfer. Bösartige Zyniker wie der Snob (und daher Kunsthändler) Maximilian Rabenthal sind nicht viril.

Eigentlich ist das Erstaunlichste an diesem Stück von Graser, wie viele Klischees es unverfroren ausstellt, ohne sie auch nur im Ansatz brechen zu wollen; sie im Gegenteil platt durchspielt, in der Annahme, daß eine urtümliche Wahrheit, das heißt eine authentische Komik, auch Aberwitz genannt, sie stützt und rechtfertigt. Die Annahme ist leider falsch, auch wenn die misogynen Witze in der Tat die männlichen und vereinzelt auch die weiblichen Lacher auf ihrer Seite haben. Sie helfen der Geschichte vom Mann, der in der Hochzeitsnacht Angst hat vor der – vom Vorgänger reportierten – Unersättlichkeit seiner Frau, der sich vor ihrer Liebe ekelt und sie an den Koch verschachert, auch nicht auf die Beine.

Im Klischee rezensiert: Man muß halt erst ein gutes Stück haben, um eine komödienadäquate elegante Schauspielerei und ebensolche Regiearbeit erwarten zu dürfen. Die letztere ist gediegen, manchmal auch eindringlich, wenn auch hier, wie so oft, die sehr guten Schauspieler den Text, der Filosofie ebenso wie Boulevard simuliert, vor dem Abgleiten in die wortwörtliche Unsäglichkeit retten; und was für die Dialektik nicht gilt, gilt doch für den Dialekt: er gewinnt im Hausgebrauch. Zum Beispiel beim Kellner Franz, den Gerd Anthoff schmählich wienert, wie beim Diener Alfred Pospischil (Horst Sachtleben). Rudolf Donath, der den dreckigen Koch Valentin Boscik gibt, spricht die Kunstsprache des Untertanen, „möchten verzeihen, aber ich spreche nicht gern über diese Dinge. Moskitos, Schlangen und Raubgetier. Das schlimmste Raubgetier ist der Mensch.“ Ei der Daus. Emanuela von Frankenberg spielte Helena, die gedemütigte Diplomatentochter, fiebrig. Das war weniger ihrer Schauspielkunst zu verdanken als ihrem tatsächlichen Gesundheitszustand, der Intendant Günther Beelitz dazu bewog, vor Beginn der Aufführung auf ihn zu sprechen zu kommen; doch soll das keinesfalls heißen, von Frankenberg hätte nicht ihrer Rolle vom liebenden, gedemütigten und gefolterten Weib, den fiebrigen Geisteszustand des Opfers sowohl von Herr als auch Knecht zu verleihen vermocht.

Rufus Beck schließlich, Herr Rabenthal, das Rabenaas, Freund spezieller Fischgerichte, zeigte auch im Erwachen zum Leben, im Gewinn der Liebe einen blasierten Tonfall, der die Peinlichkeit angesichts des existentiellen Umschlags der Geschichte angenehm in Grenzen hielt. Der Kugelfisch nämlich, den richtig zuzubereiten eine Kunst ist, die dem Fremdenlegionär, Matrosen und Fischkoch Boscik aufgegeben ist, wird zu ihrer Klimax. Hat der rohe, dreckige und schlampige Geselle die Innereien, die extrem giftig sind, auch wirklich restlos entfernt? Die Gäste zweifeln, fühlen sich sterbenselend und kommen endlich zu sich. Der Diener wird zum Mörder, der Herr zum Liebenden, Helena zur Zweijährigen, die mit demjenigen Sterben spielt, den sie nun kindisch liebt, nachdem sie ihn zuvor hündisch-weiblich-körperlich geliebt hat (richtig lieben können also Frauen nie)... sterben spielt mit dem Koch nämlich, der wiederum gar keinen Kugelfisch angerichtet hat, weil ihm der Mut zum tödlichen Risiko fehlte. – Was für ihn, wie sich zeigt, durchaus fatal ist, denn er ist es, der von den vermeintlich Sterbenden (dem Diener und der alten Dame) irrtümlich und voreilig hingemordet wird.

„Rabenthal“ von Jörg Graser. Regie: Rolf Stahl, Bühne und Kostüme: Peer Boysen; Nächste Aufführungen: 20. und 21. November, Residenztheater München