Angst vor ernster Störung

Klaus Pohls „Die Schöne Fremde“, am Berliner Schiller Theater inszeniert von Wilfried Minks  ■ Von Niklaus Hablützel

Die Fremden, so scheint es, sind in Deutschland so fremd wie schon lange nicht mehr. Sie können nicht mehr ankommen in diesem Land, nicht einmal auf dem Theater, im besten Falle sind sie ein Problem, im schlimmsten werden sie eben dafür bestraft, ausgetrieben und ausgebrannt. Wilfried Minks hat sich – fast versteht sich das von selbst – für das Problem entschieden. Er, der Regisseur, der als Bühnenbildner begann, will es zeigen, vor allem seinen Ort festhalten, die Schankstube der Bahnhofswirtschaft von Bebra, wo die Deutschen so richtig unter sich sind. Gänsebraten mit Erbsen gab es, zwei Männer und eine Frau hocken am Tisch ganz vorne, bestellen einen Wein, der „Stierblut“ heißt, und sind in dieser Konstellation ein geschlossenes System aus Haß, Frustration und Gewalt. Sie werden einen Polen totschlagen, das ist ihr Umgang mit dem Problem des Fremden, so wie sie, die Brüder Maul, mit der Frau reden, kann das schon nicht mehr verwundern: jeder Satz ist eine unflätige Beleidigung der Menschenwürde. Mit dieser Szene beginnt Klaus Pohls Stück, und sie scheint Minks Regie vordergründig recht zu geben. Wir hören dem Stammtisch zu. Aber das ist kein Stammtisch, es ist ein Altar mythischer Schlachtopfer. Schon der Name des Weins ist ein Hinweis darauf. Ein bißchen holprig kommen die monströsen Sätze daher, so als verbiete sich hier jede Schauspielkunst. Ganz exakt dem Volksmaul abgelauscht sind sie aber auch nicht, ihrer Brutalität fehlt die Folklore, in der ja noch ein Recht auf bodenständige Eigenart aufbewahrt wäre. Der Terror der beiden Männer gegen die Frau, die ihnen beiden gehört, ist grenzenlos und blind. Daraus wären allerdings andere Schlüsse für die Inszenierung zu ziehen gewesen.

Aber Minks zielt auf das aktuelle Problemstück, das er in diesem Text gesehen hat. Ein Intercity- Zug ist im Schneetreiben stecken geblieben, eine Reisende betritt den Gasthof und fragt nach einem Zimmer. Sie ist reich und schön, reist mit amerikanischem Paß. Das stabile System des Hasses und der blinden Wut ist gestört. Die bloße Existenz dieser Frau verlangt nach Sühne, sie ist die Hure, das letzte Ziel aller Lust und also auch das heilige Schlachtvieh, das einem blutrünstigem Gott der Selbstbehauptung dargebracht werden muß. All das zumindest könnte die Schöne Fremde sein, wäre sie nicht eingesperrt in ein Bild von holzgetäfelten Wänden, Tresen mit echtem Zapfhahn, Leuchtreklame, Hirschgeweihen, furnierten Schränken: so ist das Elend der deutschen Kleinstadt einigermaßen komplett möbliert im Berliner Schiller Theater, fernsehgerecht zubereitet für die kritische Vorabendserie. Was fehlt, ist der mythische Resonanzraum, ohne den manche Passagen des Textes kaum verständlich sind. Einem jungen Polen wird zuerst das Auto, dann der Kopf eingeschlagen, die Schöne kann ihn auch nicht retten, sie bettet sich zur Nacht. Das Opfer beginnt. Hilflos und sichtlich ohne Rat seitens der Regie spricht Susanna Kraus ihren Text, der zweideutig ist. Die Reisende ist entsetzt, aber nicht deswegen kann sie nicht einschlafen, und schon gar nicht deswegen vergißt sie, die Tür abzusperren. Sie erwartet etwas, und scheint schon zu wissen, was es sein wird. Lutter kommt, der Knecht, der in der Schäferhundzucht arbeitet. Er kommt mit seinem Lieblingshund, dem Hero, dessen Bisse zweifellos tödlich sind. Sie hat zu gehorchen, aber auch er, der fette Unflat mit rotem Gesicht und Schiebermütze spricht von Befehlen, die er auszuführen habe. Nein, nicht die Männer im Anzug, die am Tisch saßen, seien seine Herren. Es gebe da andere, unnennbare, verschwiegene Mächte. In Bebra glaubt man deswegen, der Hundeknecht sei manchmal nicht ganz richtig im Kopf. Als einer der wenigen in dieser mißratenen Inszenierung gibt Oliver Stern dieser Figur das angemessene Format. Das ist kein Kleinstadtdepp, und auch kein Wicht wie die Gebrüder Maul. Sie sind die Maulhelden, er ist der Prediger des Bösen, ein Heiliger wie die Schöne Fremde. Die Verführung der beiden ist gegenseitig, ist sadistisch und masochistisch zugleich. „Ich komme wieder“, schreit sie danach in die Schankwirtschaft, das Opfer ist noch nicht vollbracht, sie läßt ihren Koffer voll feiner Unterwäsche stehen. Pause. Eine bloße Episode schließt sich an. Die schöne Fremde ist zu ihrem Bräutigam durch Deutschland gereist, dem reichen Juden Leon. Aber diese Hochzeit ist gescheitert, Minks läßt den Abschied der Braut, der ein Geständnis ist, in postmodernem Seifenoperschick spielen. Warum nicht. Auch Pohl hat hier etliche Längen zu streichen vergessen.

Verfehlter geriet seinem Regisseur der Schluß. Die Hure ist zurückgekehrt in den Gasthof von Bebra, die Spießer lassen die Sau raus. Bunte Lämpchen brennen, ein Rechtsanwalt läßt die Hosen runter, die Maulhelden sabbern und geiern. Schrecklich ist das, aber harmlos, weil passend zum Bild der deutschen Enge, das Minks' Bühne unentwegt heraufbeschwör. Kaum kommt der Text darin zu Wort. Die Rache der Frau ist absolut und erfüllt von heimlichem Einverständnis mit ihrem Peiniger; sie unterwirft sich Lutter, dem Knecht, verlangt seinen Lieblingshund als Preis, läßt ihn von den Maulhelden töten. Lutter braucht keine Befehle, er hatte immer schon welche, umstandsloser noch als den Polen erschlägt er die beiden Brüder, kehrt zurück und erwürgt die Frau, die sich kaum wehrt. Ein Fettkloß bleibt in der Gastwirtschaft stehen, könnte ein Abgesandter des Bösen sein, leergebrannt nach erfülltem Auftrag: er hat das Fremde zerstört. Leider auch die Dimensionen des Stücks, die über die Milieukritik hinausgehen. Für mäßiges Spiel dankte man dem Ensemble mit kurzem Applaus, den Regisseur hat man mehrheitlich ausgbuht, zu Recht. Denn die Chancen des Textes waren vertan, so als sei das Phänomen des Fremden nicht groß genug für mythische Ausschweifungen und nur ein Anlaß moralischer Belehrung. So fremd jedoch wäre es nicht, wenn man ihm nur gestattete, tatsächlich störend und beängstigend schön zu sein. Das wäre Klaus Pohl zu lernen gewesen.

Klaus Pohl: „Die Schöne Fremde“. Regie u. Bühne: Wilfried Minks. Mit: Susanna Kraus, Matthias Redlhammer, Peter Brombacher, Oliver Stern u.a. Nächste Vorstellungen: 25., 30.11.