„Petersberg die Zähne gezogen“

■ Der Lafontaine-Vertraute Reinhard Klimmt bescheinigt Engholm Einsichtigkeit

taz: Monatelanger Streit über die Petersberger Asylkehre und jetzt auf dem Parteitag flächendeckende Harmonie – war alles nur ein Mißverständnis?

Reinhard Klimmt: Nein, das glaube ich nicht, es gab eine unterschiedliche Grundauffassung, als die Diskussion nach dem Petersberger Beschluß begann. Die innerparteiliche Debatte hat dazu geführt, daß dem ursprünglichen Entwurf die Zähne gezogen worden sind und wir jetzt zu einem Konsens gefunden haben, der es ermöglicht, in der Frage Zuwanderung ernsthafte Verhandlungen mit der Koalition aufnehmen zu können.

Heißt Konsens jetzt nach innen: Das Grundrecht auf Asyl bleibt voll erhalten, während man in die Öffentlichkeit signalisiert: Wir drehen an Artikel 16?

Nein, ich denke, das Wichtige ist, daß wir nach Petersberg die Diskussion nicht mehr von der Grundgesetzänderung her geführt haben, sondern von der Frage, wie man den immer stärkeren Zustrom bewältigen kann. Darauf zielt unsere Forderung, den jetzigen Beschluß als Paket zu betrachten. Wir werden die Bürgerkriegsflüchtlinge herausnehmen, die Aussiedler herausnehmen und das Thema Asyl vor allem als Frage verkürzter Verfahren behandeln. Um diese Verfahrensverkürzung geht es, und wenn aufgrund eines veränderten Verfahrens das Grundgesetz ergänzt werden muß, dann kann das unter diesem Gesichtspunkt stattfinden.

Ich dachte, man braucht eine Grundgesetzänderung, wenn man das Grundrecht auf Asyl einschränken will. Wenn man statt dessen jedoch die Verfahren – im Rahmen der Verfassung – beschleunigen will, dann braucht man doch keine Änderung des Grundgesetzes?

Das Grundrecht bleibt, wenn der jetzt vorliegende Antrag die Zustimmung des Parteitages findet, in der Tat erhalten. Der Ausschluß aus dem Asylverfahren über sogenannte Länderlisten von Nichtverfolgerstaaten, der auf dem Petersberg vorgeschlagen wurde, hat sich als nicht konsensfähig erwiesen. Wir wollen jetzt eine Ergänzung, um auf diesem Wege die Entscheidungen anderer europäischer Staaten anzuerkennen. Doch auch dieser Kreis von Staaten bleibt eingeschränkt. Anerkannt werden Entscheidungen aus Staaten, in denen eine unabhängige Instanz diese Entscheidungen überprüft. Damit sind wir auf der europäischen Ebene, ohne die in diesem Problemfeld heute ohnehin nichts mehr geht. Das war im übrigen schon vorPetersberg die Beschlußlage der Partei.

Die Grundgesetzänderung mit der SPD bedeutet demnach Ergänzung durch die Genfer Flüchtlingskonvention, die Substanz des Grundrechtes jedoch bleibt voll erhalten?

Ja, anders könnte ich dem nicht zustimmen. Wer das anders zu interpretieren versucht, in der Bundestagsfraktion oder in den Ländern, der wird es selbstverständlich mit dem Teil zu tun bekommen, der Petersberg abgelehnt hat und im nachhinein eine Präzisierung erreicht hat, die man mittragen kann.

Das bedeutet, der Schlüssel für den breiten Parteitagskonsens liegt nicht darin, daß am Ende die Fraktion in den Verhandlungen mit den Koalitionsparteien den Beschluß großzügig auslegt?

Nein, das wäre für mich nicht akzeptabel. Wenn überhaupt Spielraum besteht, dann nur im Hinblick auf die Formulierung eines Einwanderungsgesetzes oder auf die Frage der Aussiedler. Nichts ist denkbar, was die klaren, hier formulierten Bedingungen für eine Ergänzung des Artikels 16 in Frage stellt.

Welche Rolle spielt das Bedürfnis der Partei, ihren Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten nicht zu beschädigen, für den Konsens, der jetzt gefunden wurde?

Ich glaube, daß in den Diskussionen auf den vorangegangenen Parteitagen nicht darauf geachtet wurde, wie das Gesicht des einen oder anderen in der Parteiführung nach der Entscheidung aussehen würde. Natürlich gibt es Erleichterung darüber, daß Engholm es aufgrund des gemeinsamen Diskussionsprozesses geschafft hat, hinter Petersberg zurückzugehen. Ich glaube, das ist von den Delegierten, die anderer Auffassung waren, als Zeichen der Einsicht und der Führungskompetenz gewertet worden.

Aber das Signal an die Öffentlichkeit, das von diesem Parteitag ausgeht, heißt doch nicht: Zurück hinter Petersberg.

Das ist ein Eindruck, der entsteht, wenn man nicht an der Sache diskutiert. Wir haben einen vernünftigen Verfahrenskompromiß gefunden, wir haben keinen Interpretationsspielraum gelassen, und jetzt kommt es auf die andere Seite an, sich dazu zu verhalten.

Stichwort: andere Seite. Wenn die SPD-Fraktion in Sachen Artikel 16 jetzt keinen Verhandlungsspielraum mehr hat, steht wohl ein Kompromiß mit der Koalition gar nicht zu erwarten?

Die Union muß jetzt deutlich machen, ob sie einen Beschluß will, den auch wir für praktikabel halten. Wenn sie den nicht will, gibt sie damit nur zu erkennen, daß sie den Mißbrauch des Asylrechtes weiter vorantreiben will, indem sie es als Wahlkampfinstrument einsetzt. Dann gibt es keine Einigung. Dann wird die Union unsere Demokratie in Turbulenzen stürzen. Interview: Matthias Geis