Sozialdemokraten außer Verfassung

■ Björn Engholm bringt die Partei in der Asylfrage auf seinen Kurs/ „Der Feind steht rechts“

Bonn (taz) – War alles nur ein Mißverständnis? Wochenlange emotionalisierte Asyldebatte, die Partei vor der Zerreißprobe und ihr Vorsitzender unmittelbar vor dem Karriereknick. – Schon zum Auftakt des SPD-Sonderparteitages in Bonn war gestern alles ganz anders. Der im Vorfeld gefundene Asylkompromiß, über den erst nach Redaktionsschluß abgestimmt wurde, trägt. Björn Engholm jedenfalls wurde von den Delegierten mit langanhaltendem Applaus gefeiert. Mit einer klug inszenierten Rede präsentierte sich der Parteivorsitzende als prinzipienfester Sozialdemokrat.

Mit flammenden Worten prangerte er den neuen Rechtsradikalismus, Ausländerhaß und Antisemitismus an. „Die SPD“, so Engholms Botschaft, „steht fest an der Seite aller in Deutschland, die jetzt wegen ihrer Herkunft und Hautfarbe oder Religion Angst haben müssen.“ Die beiden großen Demonstrationen in Berlin und Bonn vereinnahmte Engholm gleich mit: Kampf gegen den „neobraunen Spuk“. „Der Feind“, so Engholms Überzeugung, „steht rechts“. Bruchloser Übergang zur Regierungskoalition: die CSU habe sich mit ihrer Berliner Demonstrationsabsage ins Zwielicht gerückt, die CDU liebäugele mit dem Verfassungsbruch, die FDP lade Jörg Haider zu offiziellen Parteiveranstaltungen.

Nach diesem Einstieg fiel es dem Parteichef dann nicht mehr schwer, für die Grundgesetzänderung zu werben, ohne selbst ins rechte Zwielicht zu geraten. Die Asyldiskussion der letzten Wochen, so Engholm, gereiche der SPD zur Ehre. Sie sei nicht geführt worden, um dem „Druck der Straße“ nachzugeben, sondern um politisch verantwortlich auf veränderte Verhältnisse reagieren zu können, voilà, das Maßnahmepaket: Fluchtursachen bekämpfen, Zuwanderung steuern, die ausländischen BürgerInnen im Land schützen, ihre Einbürgerung erleichtern und Bürgerkriegsflüchtlinge vorübergehend aufnehmen. Erst am Ende kommt Engholm „zur Sache“: Grundgesetzergänzung beim Artikel 16, „nicht um das Grundrecht auszuhebeln, sondern um es zu schützen“.

Oskar Lafontaine, dem der Entwurf persönlich nicht weit genug geht, assistierte seinem Vorsitzenden. Keiner müsse befürchten, die Bundestagsfraktion werde über den Asyltext des sogenannten Sofortprogrammes hinausgehen. Jetzt sei „der Ball wieder im Regierungslager“. Man dürfe gespannt sein, was eine Koalitionskommission von Edmund Stoiber bis Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger jetzt anzubieten habe.

Die Petersberger Kritiker hingegen hielten sich zugute, daß durch ihren Widerspruch der ursprüngliche Entwurf weitgehend entschärft worden sei. Die von Engholm vorgeschlagenen Länderlisten von Nichtverfolgerstaaten, die mit dem individuellen Asylgrundrecht unvereinbar gewesen seien, seien endgültig vom Tisch. Und auch in der Frage deutscher Beteiligung an UNO-Einsätzen habe Engholm gegenüber seinem Petersberger Vorstoß am Ende nachgegeben. Das Sofortprogramm sieht zwar eine weitere Fassung dessen vor, was zukünftig als Blauhelmeinsatz gelten soll. Doch die Frage militärischer Kampfeinsätze ist jetzt auf unbestimmte Zeit vertagt. eis

Tagesthema Seite 3