: Die Frau, der Tod und die Medizin
■ Das Erlanger Experiment ist beendet, die Diskussion in Bremen geht weiter
Die Frau, der Tod und die Medizin
Das Erlangener Experiment ist beendet, die Diskussion in Bremen geht weiter
Das Erlangener „Experiment“ ist gescheitert. Der tote Frauenkörper hat den in ihm wachsenden Embryo abgestoßen. Doch die Debatte, die der Versuch Erlangener Ärzte, ein Kind im Körper einer hirntoten Frau auszubrüten, ausgelöst hat, geht weiter. Auch in Bremen: Gut 100 Frauen und einige Männer erschienen am Dienstag abend zu einer Diskussion im Kultursaal der Angestelltenkammer. Selbst die Veranstalterinnen und die Damen und der Herr auf dem Podium zeigten sich überrascht ob solchen Interesses. „Warum mobilisiert uns dieses Thema so sehr?“ fragte der Sozialwissenschaftler und gewesene Gynäkologe Karl-Heinz Wehkamp. Es gebe doch so viele Probleme: Die Debatte um die Grundgesetzänderung, die stärker werdenden Rechten in Deutschland, Krieg in Jugoslawien. Durch dieses Experiment fühle sie sich direkt betroffen, antwortete ihm eine Zuhörerin. Gegen den Krieg in Jugoslawien fühle sie sich machtlos, „aber noch steht die Schwangerschaft in der Macht von Frauen. Und hier wird uns was genommen.“
In Erlangen waren es Ärzte, die in Absprache mit den Angehörigen entschieden, daß die hirntote Frau am Leben erhalten werden soll. Hier wurde der letzte Wille der schwangeren Frau erfüllt, argumentierte die Theologin Uta Ranke-Heinemann in einem taz- Artikel. Doch wer kann den letzten Willen einer Bewußtlosen ermitteln? „Dann muß ich ja ab sofort bei allen Äußerungen über Kinderwunsch vorsichtig sein“, überlegte eine Frau im Publikum, sonst lasse man sie nicht in Ruhe sterben. Einige ZuhörerInnen äußerten die Angst, daß nach diesem „Präzendenzfall“ weitere Eltern von den Medizinern verlangen könnten, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um einem Embryo im Körper ihrer toten Tochter die Entwicklung zu ermöglichen.
Die Reproduktionsmedizin und die Ärzteschaft standen im Mittelpunkt der Kritik. „Es nervt micht, daß Mediziner so etwas allein entscheiden“, sagte die Hebamme Monika Haas auf dem Podium. Schwangerschaft sei schon lange nichts Natürliches mehr. „Viele Frauen können ihren eigenen Mutterpaß nicht mehr lesen.“ Die Schwangere werde vermessen und ultra-beschallt, es geschehe alles zum Wohle des Kindes, doch fast nichts mehr zum Wohle der Mutter.
Es sind ja nicht nur die Ärzte allein, die die Möglichkeiten der Medizin immer weiter treiben, gab Karl-Heinz Wehkamp zu bedenken, der eine gesellschaftliche Debatte über ethisches Fragen der Medizin vermißte. Viele PatientInnen forderten von den Halbgöttern in Weiß, alles in ihrer Macht Stehende zu tun — und gehen auch vor Gericht, wenn sie das Gefühl haben, ein Arzt habe nicht die neueste Technik eingesetzt. „Die Medizin ist genauso gut oder schlecht wie die Gesellschaft umzu.“ Und eine Hebamme im Publikum ergänzte: „Es kommen Frauen zu Ärzten, die sagen: Ich will, daß Sie alles tun, damit ich schwanger werde. Und wenn der Arzt sich weigert und sie zum Psychologen schickt, geht sie eben zum nächsten. Hier werden im Reagenzglas Kinder gezeugt, und in Indien werden Frauen zwangssterilisiert.“
Der Tod ist ein Tabu, stellten Podium und Publikum fest. Ein solches Tabu, daß es ab dem Zeitpunkt des Todes keine Rechtsvorschriften mehr gibt, sagte die Juristin Sabine Heinke, ausgewisen durch das dicke Bürgerliche Gesetzbuch, das sie vor sich auf dem Tisch liegen hatte. Und weil es in Erlangen auch um die Frage der Lebensverlängerung und der Grenzen der Medizin ging, wollte der Sozialwissenschaftler Karl- Heinz Wehkamp das Thema auch nicht nur unter dem „Geschlechterstandpunkt“ diskutiert wissen. Doch genau die Horrorvision der Schwangeren als „uterines Umfeld“ schreckte die meisten Frauen im Publikum. Die Trennung von schwangerer Frau, Schwangerschaft und Embryo, die von der Medizin schon lange praktiziert werde. Kinder würden künstlich gezeugt und könnten ab der 25sten Woche auch künstlich ausgebrütet werden. „Die Spanne, in der der Mediziner nicht auf die Frau verzichten kann, um Menschen entstehen zu lassen, wird immer geringer.“ Diemut Roether
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