Bruder Täter

■ Joshua Sobols „Ghetto“ im Schauspielhaus / Einige Nachgedanken und eine Einladung zur Debatte

Spätestens bei solchem Theater ist es mit einer Rezension nicht mehr getan. „Ghetto“, ein herzwürgendes Schauspiel, hierzulande jetzt zu sehen in der Fassung seines Autors Joshua Sobol, wirft Fragen über Fragen auf. Eine davon soll heute zur Sprache kommen; weitere Beiträge sind herzlich willkommen.

Wer's noch nicht gesehen hat, soll schleunigst hingehn; wer schon drin war, wird sich erinnern: an das Ghetto zu Wilna, wo, auch zum Vergnügen des Faschisten Kittel, eine jüdische Truppe inmitten von all dem Tod ihr Theater spielt um den Arbeitsschein, gegen den Abtransport, und weil in der Kunst noch ein bißchen Würde lebt; an zäh und überaus lebende Menschenskinder, virtuos gepeinigt von Kittel; und an Kittel selber, den schlechten Kerl, der gerne und oft herbeigestiefelt kommt, mit Saxophon und Maschinenpistole, zum Tändeln, Parlieren und Saufen und schließlich zum Morden.

Diese Figur aber, dieser Kittel, dieser Statthalter der Gewalt ist ein sonderbarer Faschist. Er zecht und kumpelt, er nimmt's nicht so genau, und selbst seine Quälereien haben was durchaus Leutseliges. Er wäre ein malerischer Operettenräuberhauptmann; aber keinesfalls könnt' man hinter ihm, dem einzigen Faschisten im Stück, die Menschenvernichtungsmaschine argwöhnen, ach woher denn. Irgendwann wird er, der Kittel, seinen persönlichen Koller kriegen; vorläufig aber ist, wenn man aufpaßt, mit ihm Kirschen essen.

Ja, es gab schon auch solche; aber auf der Bühne sehen wir keine andern, nur ihn; da sehen wir also vom Faschismus geradezu das menschliche Antlitz. Nicht die Permanenz des Terrors, nicht die hemmungslose Raserei des Machtkalküls, nur die Ränke eines jovialen Irren.

Der Israeli Sobol meint es doch, so denkt man vielleicht, beschämend gut mit dem Deutschen Kittel; allein er kann wohl nicht anders, und das macht es für unsereinen noch weitaus beklemmender. Er kann nicht anders, weil der unbeschwichtigte, der totale Faschismus auf der Bühne seine Opfer noch einmal besiegen, entwürdigen, zerbrechen würde (vgl. Uta Stolle, taz vom 14.11.). So hat das Stück etwas von einer erzwungenen, ja zwanghaften Übereinkunft: Der Faschist läßt dafür, daß er hier Mensch sein darf, wohl oder übel auch den Opfern, ehe er sie tötet, ihr Leben.

Wäre ihnen mit solchem Theater wenigstens nachträglich noch Respekt zu erweisen, man müßte kein Wort verlieren. Die Frage ist aber, ob nicht gerade die Opfer den Preis der Übereinkunft bezahlen. Nun, da sie unter dem rasenden Räuberhauptmann die Würde bewahren, die ihnen der reale Faschismus angetastet hat, ist auch ihr Leiden beschwichtigt: auf die Ausmaße eines schrecklichen Unglücks, wie es geschieht, wenn man Pech hat. Manfred Dworschak

nächste Aufführung: am Mittwoch, 25.11., um 19 Uhr im Schauspielhaus