Der Holocaust als Vierteiler

■ Zum Tele-5-Comeback der Deutschstunde aus Hollywood

Als hätte jemand ein Ventil geöffnet, brandeten damals, 1979, bei der Erstausstrahlung der amerikanischen Fernsehserie „Holocaust“ die Gefühle der deutschen FernsehzuschauerInnen mächtig auf. Nach Jahren der filmischen Dokumentation, nach unzähligen Unterrichtseinheiten, Büchern und Ansprachen schien es endlich, als habe man hier das Medium der Wahl gefunden: Die Odyssee der Berliner Ärztefamilie Weiss nach Warschau, Theresienstadt, Auschwitz; in die Wälder der Partisanen und schließlich die des letzten Überlebenden, Rudi, nach Palästina schaffte, was alle mahnenden Worte nicht vermochten: Fast 15 Millionen ZuschauerInnen sahen die Serie, die Telefonleitungen bei den Dritten Programmen liefen heiß. Die Menschen bekundeten ihre Erschütterung und forderten, als hätte nicht gerade ihre eigene Reaktion das Gegenteil bewiesen, bessere Aufklärung über die Vernichtung der europäischen Juden.

Der Holocaust als tragischer Höhepunkt einer Familiensaga? Wie jede andere Soap-opera auch, wurde die Ausstrahlung in den USA alle 15 Minuten von Werbespots unterbrochen. Als dann auch noch eine der Gaskammer-Sequenzen mit Werbung für ein Fichtennadel-Raumspray konstrastiert worden war, meldete sich Elie Wiesel in der New York Times: „Vielleicht bin ich zu streng, aber der Holocaust als gefilmtes romantisches Abenteuer erscheint mir als Beleidigung der Erinnerung an die Toten und der Sensibilität.“

Der deutschen Journalistin Lea Rosh hingegen ging es hauptsächlich um die Wirkung: „Mir ist ganz egal, wie ein Film das macht, Hauptsache, die Leute fangen endlich an, sich dafür zu interessieren.“ Triviale Information sei besser als gar keine, sagte sie damals auf einer Diskussionsveranstaltung. „Holocaust“, entgegnete der Filmemacher Peter Lilienthal, „war wie ein Thriller, und die Ebene der Reaktion bewegte sich genau auf der Ebene des Films. Wie lange hält so etwas?“

Merkwürdig, daß damals kaum jemand an Mitscherlichs Kritik, die Deutschen seien unfähig zu trauern, erinnerte. Im nachhinein scheint doch vor allem eines deutlich: Die ZuschauerInnen wollten nicht wissen, gemahnt werden oder sakrale Gedenkstunden abhalten; die Leute wollten endlich einmal in Ruhe heulen. Punkt. Daß das dann auch wieder nicht richtig war, hat vielleicht viele wieder in ihr Schneckenhäuschen zurückgetrieben, aus dem man sie damals hätte locken können. Nicht auszudenken, welche Chancen landesweiter wirklicher Erinnerung, die der künstlichen mit Sicherheit auf dem Fuß gefolgt wäre, vertan wurden, weil die Puristen mit dem Finger dräuten, daß es so nicht geht.

So bleiben die Lager weiterhin hübsch gespalten: in die, denen Meryl Streep in der Rolle der Inga näher ist als ein Buch von Raul Hilberg; und die anderen, die auf jene mit dem Finger zeigen und dennoch heimlich selbst nach der dritten Stunde von Lanzmanns „Shoah“ aus dem Saal entwischen.

In den USA taucht die Serie nun im Zusammenhang mit einer ganz anderen Diskussion auf: Ein Teil der jüdischen Intellektuellen ist der Ansicht, daß amerikanische Juden mit dem „Holocaust Politik für Israel machen“, wie der Essayist Philip Lopate das ausdrückte. Deshalb, so meint er, würden im Film immer nur westliche, hochkultivierte, städtische Juden gezeigt; mit denen könne sich der amerikanische Fernsehzuschauer eher identifizieren als mit denen, die es hauptsächlich getroffen hat: die verarmten, zum Teil orthodoxen, zum Teil ländlichen Juden Osteuropas. „In so vielen Filmen zeigt man mir mit besonderem Pathos die Deportation höflicher, bürgerlicher, zivilisierter Individuen in Viehzügen, so als sei die Liquidierung ungebildeter, bäuerlicher ,Massen‘ von Bengalis, Tamilen oder Ibos nicht ganz so dramatisch.“

Eine solche Diskussion ist in Deutschland wahrscheinlich noch auf Jahre ausgeschlossen. Trotzdem sollten wir inzwischen in der Lage sein, die unterschiedlichen Reaktionen auf „Holocaust“ parallel existieren zu lassen. Mariam Niroumand