Kein schöner Land

■ Einwanderer in deutschen Filmen

Die ersten Einwanderer, die im deutschen Nachkriegsfilm auftauchten, glichen eher Fabelwesen oder Bibelgestalten als den „Gastarbeitern“, die sie sein sollten. Der Grieche Jorgos in Fassbinders „Katzelmacher“ (1969) ist wie ein Kaspar Hauser: stumm, dumpf brütend, aber unschuldig zieht er den Haß einer angeödeten Kleinstadtclique auf sich; indem sie ihn erschlagen, rächen sie ihre eigene Unterdrückung. Jorgos war der erste in einer Reihe gekreuzigter, moderner Jesus-Reinkarnationen, die als Transvestiten, Psychopathen, Vereinsamte die Landschaft des neuen deutschen Films bevölkerten. Dabei verkörperten sie stets das Positive zum bundesrepublikanischen Negativ: sie waren sexuell potent wie Ali in „Angst essen Seele auf“, leidenschaftlich- südländisch sensibel wie der italienische Gastarbeiter in Volker Schroeters „Palermo oder Wolfsburg“ (1980), warm, herzlich und naturverbunden, während die Deutschen kalt, verklemmt, bürokratisch und „unkörperlich“ erscheinen. Unvergeßlich die Szene aus „Angst essen Seele auf“ (1973), in der vier ältere Frauen, neidisch auf das Glück der zuvor geschmähten Nachbarin, mit glänzenden Augen Alis Muskeln betasten („Mach mal Muckis, Ali.“).

Nie erfährt man, warum die Einwanderer einen so schlechten Tausch eigentlich akzeptieren; sie bleiben mysteriös, eine rationale Motivation brauchten Fabelwesen eben nicht, und politisches Asyl war damals noch kein Thema. Sie verhalfen dem neuen deutschen Film, der nichts eiliger wollte, als die eigene Fremdheit in der Heimat zu dokumentieren, zu dem gesuchten Schuß Surrealismus. Mit der Musik von Alban Berg und dem weltentrückten Augenfunkeln des Sizilianers hebt Schroeters „Palermo“ rasch ab in eine Endzeitgroteske – der Sizilianer erschlägt schließlich zwei jugendliche Wohlstandsbürger, wie ihm das sein kochendes Blut eingibt.

Der Orientalismus des 18.und 19.Jahrhunderts feiert fröhliche Urständ, wenn es um die geheimnisvolle Schönheit türkischer Mädchen geht. Mit klangvollen Namen wie „Yasemin“ (1986) geben sie eine ebenfalls wundervoll stumme Projektionsfläche ab für Männerphantasien von der zugeknöpften Unschuld, die man sorgsam zärtlich entblättert – und die einen dann aber, weil es ihr eben auch seit Jahrtausenden im Blut ist, in sagenumrankte Scheherazade- Nächte führt. Interessanterweise kann kein Landsmann sie retten. Initiation und Befreiung aus dem dumpfen Dornröschenschlaf, in dem Vater, Bruder und böser Onkel sie hinter ihrem Schleier auf ihren 18 Quadratmeter Deutschland halten wollen, kann nur von Hark Bohms Sprößling kommen, mit Palästinensertuch angetan.

Als dann in den späten siebziger Jahren das Thema Asyl behandelt wurde, war die Ikonographie noch immer die gleiche: die großen, dunklen Augen des chilenischen Flüchtlings (Pablo Lira) in „Aus der Ferne sehe ich dies Land“ (1978) sehen die deutsche „Konsumorientierung und Kommunikationslosigkeit“ mit Trauer und Unverständnis. Wo immer es eine friedliche Koexistenz gibt, findet sie unter Ausschluß der Durchschnittsbevölkerung statt; und die funktioniert auch nur dann, wenn sich die Deutschen völlig aufgeben und in den Ausländern quasi „aufgehen“.

„Ich bin ein Kanake“ von Thomas Draeger (1991) erzählt die Geschichte des kleinen Michel(!), der sich in der U-Bahn in die Hose macht, sich nicht nach Hause traut und deshalb nach Kreuzberg fährt, wo er eine fremde Welt mit türkischer Musik und Sprache vorfindet. Mit den türkischen Kindern gräbt er in den Säcken für Altkleidersammlungen, entledigt sich seiner nassen Hosen und verkleidet sich, so daß er nun selbst wie ein Türke aussieht. Gefragt, wo er herkomme, sagt er nun von sich: „Ich bin eine Kanake“ – schon wird seine Hose von einem Lkw aufgesammelt, und seine deutsche Identität ist futsch. Nur so kann er sich mit einem türkischen Jungen anfreunden.

Das Klischee funktioniert von beiden Seiten. Janine Meerapfels „Im Land meiner Eltern“ (1981) ist eine peinliche, larmoyante Heimatsuche in einem ach so geschichtslosen, ach so kalten Deutschland, das in Bildern von dicken Hausfrauen auf der Wilmersdorfer Straße dargestellt wird. Die Arroganz des Bürgerblicks, dem der Körper der Unterschicht ästhetisch auf den Magen schlägt, wird auch noch als jüdische Sensibilität verklärt und mit der „physischen Wärme in meiner Familie“ zu Bildern vom Sederabend beim Pessachfest kontrastiert.

Kaum jemals lassen die Filme zu, daß das Fremde schlicht fremd und unverständlich bleibt. Als wäre das schon Rassismus, beeilen sich alle Seiten mit Romantisierung, Verklärung, Identifikation – die Filmemacher sind nie Teil des Deutschlands, das sie porträtieren. „Aufenthalt und Widerstand“ (1991), ein Video von Mogniss H.Abdallah, ist eines der wenigen Dokumente, in denen Ausländer sich körperlich gegen rechtsradikale Angriffe wehren, nur noch in Gangs aus dem Haus gehen.

Einer der wenigen Filme zum Thema Immigration, der es schafft, sowohl solidarisch als auch distanziert zu sein, ist Joan Micklin Silvers „Hester Street“ (1974), der im Milieu der „Sweatshops“ an der Lower East Side New Yorks um die Jahrhundertwende spielt, als dort eine halbe Million jüdischer Einwanderer aus Osteuropa dicht gedrängt in Mietskasernen lebten. Jankel, der sich hier Jake nennt, hat seine orthodoxe Frau nachgeholt, aber weil sie ihn durch ihren bloßen Anblick in der Schtetl-Vergangenheit hält, tut er sich mit einer lebenshungrigen Assimilierten zusammen. Sie hingegen, die Grine, beguckt sich den verhinderten Rabbi, der bei ihnen als Einlieger wohnt, und eröffnet schließlich ein Busineß mit ihm. Die Handlung spielt sich meist in den Gesichtern ab; alle Protagonisten sind zugleich verständlich und unbegreiflich. Statt wandelnder Projektionsflächen hat man es hier mit komplexen Individuen zu tun, die einfühlbar sind und gleichzeitig Fremde bleiben. Der Ausdruck, mit dem sich die grine Immigrantin und der Rabbi zuflüstern, daß sie Christoph Columbus für die Entdeckung der Neuen Welt die Pocken an den Hals wünschen, spricht Bände. Mariam Niroumand