Kleopatra sein...

„Mörderinnen im Film“ – ein vielversprechendes Thema  ■ Von Silvia Hallensleben

When I'm good I'm very good but when I'm bad I'm better, hat schon Mae West gesagt. Die sanften Engel haben ausgedient, und das ist gut so. Ob als Lebensbeichte oder Kalender, als Film, biographischer Essay oder Nachttischanthologie: böse und gemeine, heimtückische und liederliche Frauen haben Konjunktur. Die Berliner Elefanten Press Galerie bewies Gespür für den Zeitgeist. Mit der Ausstellung „Bad Women. Luder, Schlampen und Xanthippen“ konnte sie 1989 auf den Gipfel der Schlechte-Frauen-Welle aufspringen. „Bad Women“ hieß dann auch das obligatorische Buch zur Ausstellung im eigenen Verlag; 1992 folgte „Wild Women“, seit letztem Jahr gibt es jährlich zusätzlich den „Bad Women Kalender“.

Im gleichen Haus ist jetzt „Mörderinnen im Film“ erschienen: schwarzledriger Einband mit blutrotem Schriftzug und einem Szenenfoto aus Oshimas „Im Reich der Sinne“ auf dem Cover, Din- A4-Format, Fotos, herausgegeben von der Frauen-FilmInitiative Wien (auf dem Titel ein wenig unbescheiden als FrauenFilmInitiative präsentiert).

Mörderinnen im Film – ein Thema, das viel verspricht: blinde Rache und eiskalte Berechnung, kämpfende Unschuld, coole Intrigantinnen bieten einen verlockenden Ausgangspunkt für eine Abenteuer- und Forschungsreise durch die Welt der Frauenbilder und -mythen. Von einem Streifzug vorbei an den killing ladies aus fast hundert Jahren Filmgeschichte müßte sich eine Menge erzählen lassen: Anekdotisches, Historisches... Es müßten Entdeckungen zu machen sein, sich neue Sichtweisen und überraschende Beziehungen herstellen. Und nebenbei böte sich auch eine erstklassige Gelegenheit, die seit fast zwei Jahrzehnten stattfindende Debatte um den weiblichen und den männlichen Blick im Kino, um Voyeurismus und Sadismus, um Opferrolle und Möglichkeiten weiblicher Filmrezeption einmal an einem Brennpunkt der Gefühle und Projektionen gebündelt zu betrachten. Erkenntnis und Leselust könnten aufs Wunderbarste zueinanderfinden.

Beim vorliegenden Band bleiben beide Begehren unerfüllt: Leselust will nicht aufkommen und Erkenntnis erst recht nicht. Der Wurm steckt schon im Grundkonzept: präsentiert wird eine Sammlung von 40 Filmbeschreibungen (von 33 Autorinnen); divergent in Stil, Ansatz, Qualität; alles in allem eher an den Standard einer Sammlung von Seminararbeiten erinnernd. Die Spanne der dargestellten Filme reicht vom Trivialen bis zum Experimentellen; Filme, die es vermutlich nie bis ins Kino schaffen werden, sind ebenso zu finden wie Frank Capras „Arsen und Spitzenhäubchen“ oder Peter Greenaways „Verschwörung der Frauen“.

Die Auswahlkriterien bleiben allerdings ein Geheimnis. Weshalb zum Beispiel werden die Filme des film noir der vierziger Jahre gänzlich unterschlagen, einer der wenigen Phasen des Hollywoodkinos, die dem mordenden Weiblichen einen erheblichen Stellenwert einräumte? Weshalb wird Oshimas „Im Reich der Sinne“, der als Foto immerhin den Titel zieren darf, in einem Beitrag abgetan, der so knapp ist, daß sich selbst die Autorin nicht dazu bekennen zu wollen scheint? Immerhin wird uns in einer Fußnote mitgeteilt, daß die „Gliederung der Beiträge“, sprich die Reihenfolge der Filme, dem „simplen Alphabet“ folgt. Begründung: keine. Vielleicht ein Einfall, um sich das Register zu sparen, denn es gibt weder Register noch Bibliographie, die filmographischen Angaben hätten knapper kaum ausfallen können. Hier scheint pseudopostmoderner Beliebigkeitswahn auf die Spitze getrieben und zum Alibi genommen für Faulheit, Schlamperei und fehlende Konzeption.

Da sich der Band auf Einzeldarstellungen von Filmen beschränkt, da er, auch in den vier Beiträgen, die sich auf übergreifendere Komplexe beziehen (Filme mit Bette Davis, Filme von Ulrike Ottinger, Frauen rächen sich an Vergewaltigern und Polizistinnen im Film) selten über die (mehr oder weniger ambitionierte) Nacherzählung einzelner Filme hinauskommt, wird die Chance vertan, dem Thema Mörderinnen im Film in seiner Vielfalt und Komplexität auch nur ansatzweise auf die Spur zu kommen. Selbst eine Einleitung war offensichtlich zu viel Aufwand. So müssen wir uns mit den großtönenden, aber nichtssagenden Statements des Vorworts begnügen: „Mörderinnen. Sie töten... Sie sind Einzelkämpferinnen oder Verbündete. Sie kommen aus Afrika, Amerika, Asien, Australien oder Europa.“

Hat die Frau mit der Waffe in der Hand den Sprung auf die andere Seite geschafft? Das Vorwort suggeriert es uns, und auf den ersten Blick ist der Gedanke einleuchtend: endlich einmal Taten zeigen, „aktiv handeln“, sich „aus dem Opferstatus befreien“. Die Gewalttat als Widerstandsakt, der Mord als Befreiung aus dem Gefängnis überlieferter Weiblichkeit. Endlich einmal Kleopatra sein – oder zumindest Charlotte Corday! Doch die scheinbare Alternative Opfer/Täterin trügt. Frauen werden zu Mörderinnen gemacht, in die Kriminalität getrieben, und nach vollbrachter Tat ist die Geschichte noch lange nicht zu Ende. Die wenigsten sind Kleopatra, souveräne Herrin ihrer Geschicke. Vor allem aber: auch die Mörderinnen im Film sind kunstvoll inszenierte Phantasiegeschöpfe, Produkte – in der Vergangenheit meist männlicher, in letzter Zeit immer öfter auch weiblicher – Imaginationen. Es ist wahr, das Bild der Mörderin besetzt eine Schnittstelle gesellschaftlicher Phantasien über Weiblichkeit. Aber erst die Details der Inszenierung können Aufschluß darüber geben, wie sich dieses Bild konkret künstlerisch realisiert. Diese Erkenntnis findet ihren Ausdruck leider nur in wenigen Momenten der versammelten Texte.

Und die erhoffte Leselust? Auch sie bleibt auf der Strecke bei den angestrengt bemühten Gewaltakten der Analyse oder in Beiträgen, in denen uns allseits Bekanntes noch einmal in unverblümter Frische aufgetischt wird: daß die Welt so schrecklich sexistisch sei und Filmemachen eben nur ein Geschäft: „... darf frau sich doch keine Minute lang der Illusion hingeben, daß nicht in erster Linie die Aussicht auf finanziellen Gewinn die Produktion bestimmt“.

Beim Büchermachen ist das offensichtlich ähnlich; ärgerlich nur, wenn das Schielen nach dem schnellen Gewinn so kraß auf Kosten der Qualität geht. Den Autorinnen der Frauen-FilmInitiative Wien, die die einzelnen Beiträge erstellt haben, ist hier wohl am wenigsten etwas vorzuwerfen: zu kritisieren sind Herausgeberinnen und Verlag, die solches Material schlecht redigiert und editiert, unter einer Aufmachung, die falsche Erwartungen weckt, auf den Markt bringen. Warten wir auf das nächste Buch zum Thema „Mörderinnen im Film“.

„Mörderinnen im Film“. FrauenFilmInitiative Wien (Hrsg.). Elefanten Press Verlag, Berlin 1992, 159 Seiten, 39,50 DM