Zäher Dialog in Rio am Rhein

Diskurs über Chancen zur Rettung der Erde und den ökologischen Umbau NRWs/ Energiemanager empören sich über Umweltschützer  ■ Aus Bonn Walter Jakobs

Pro Sekunde werden 3.000 Quadratmeter Wald zerstört. Pro Tag sterben 10 bis 20 Tier- oder Pflanzenarten aus. Ganz gleich, ob es sich um Wasser, Luft, Lärm oder Abfall handelt, „weltweit wird es von Monat zu Monat schlimmer“, so Ernst Ulrich von Weizsäcker, Präsident des Wuppertaler Klima- und Umweltinstituts. Ob es überhaupt noch eine Chance zur Rettung von Mutter Erde gibt, blieb beim Dienstag in Bonn zu Ende gegangenen „Ökologiedialog“ zwischen Managern, Politikern und Umweltschützern — außer für politische Zweckoptimisten — bestenfalls weiter offen.

Klimaforscher fordern für die nächsten 40 Jahre eine Halbierung der Treibhausgas-Emissionen — vor allem von CO2. Die Weltenergiekonferenz prognostiziert aber eine Verdopplung des Energiebedarfs bis 2030, was bei Fortsetzung der derzeitigen Entwicklung auch eine Verdopplung des Ausstoßes bedeuten würde.

Statt Askese für die Industrienationen zu predigen, die für 80 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich sind, setzt von Weizsäcker auf „eine Strategie, bei der es mehr Gewinner als Verlierer gibt“. Der Schlüssel zum Erfolg liegt für ihn in einer Erhöhung der Energieproduktivität: „Technisch wäre es möglich, aus einem Gigajoule Energie viermal soviel Wohlstand herauszuholen wie heute.“ Wenn man das in 40 Jahren erreiche, könnten sich der Umfang der Energieleistungen verdoppeln und sich gleichzeitig die Treibhausgas- Emissionen halbieren. Der Hebel seines Vorschlags sind Energiepreiserhöhungen um jährlich 5 Prozent. Eine solche ökologische Steuerreform würde den Energiepreis in 14 Jahren verdoppeln, in 28 Jahren vervierfachen und nach 42 Jahren eine Verachtfachung bedeuten. Bliebe diese Preisentwicklung auf Fossilien- und Atomenergie beschränkt, würden Wind-, Wasser-, Biogas-, Biomasse- und direkte Sonnenenergie Marktanteile gewinnen — und nach 42 Jahren „fast nur noch“ den Energiebedarf decken.

Der frühere Vorstandsvorsitzende des Düsseldorfer Waschmittelkonzerns Henkel, Professor Sihler, glaubt, daß relevante Teile der westdeutschen Managerelite mit Energiepreiserhöhungen „durchaus einverstanden“ wären. Die Vertreter der Energiewirtschaft mochten davon indes nichts hören. Für Jürgen Budde, Geschäftsführer der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft, zählt schon eine schlichte CO2-Energiesteuer zu jenen umweltpolitischen Folterinstrumenten, mit „denen die Schraube überdreht wird“. Budde und der VEW-Vorstandsvorsitzende Klaus Knizia waren sich einig, daß die deutsche Energiewirtschaft „seit Jahren einer der Weltmeister in rationeller und umweltfreundlicher Ernergienutzung“ sei. Angesichts solch geballter Ignoranz platzte selbst bedächtig argumentierenden Wissenschaftlern wie Joachim Nitsch von der Deutschen Forschungsanstalt der Kragen: der vom Düsseldorfer Wissenschaftszentrum geplante Dialog sei „völlig in die Hose“ gegangen.

In diesem Bekleidungsstück verflüchtigt sich indessen auch die „ökologische und ökonomische Erneuerung“ Nordrhein-Westfalens, die Ministerpräsident Johannes Rau noch am Vorabend der Konferenz gelobt hatte. Zwar hat sich die Wasserqualität von Rhein und Ruhr erheblich verbessert. Und die drastischen Reduzierungen der Schwefeldioxid- und Stickoxid-Emissionen aus Kraftwerken können ebenfalls als Erfolg gewertet werden. Nur, Teilerfolge machen noch keine ökologische Wende. So fördert die Landesregierung in Oberhausen mit vielen Millionen Mark einen gigantischen Konsumtempel: die 70.000 Quadratmeter Verkaufsfläche sollen jährlich 15 Millionen KäuferInnen anziehen — das bedeutet täglich 20.000 PKW-Fahrten mehr.

Aber auch an anderer Stelle macht sich die Landesregierung dafür mit verantwortlich, daß das propagierte Ziel einer CO2-Reduktion um 25 bis 30 Prozent bis zum Jahr 2005 ein frommer Wunsch bleibt: sie unterstützt den geplanten Bau eines gigantischen Kohlekraftwerkes der Veba AG in Gelsenkirchen-Heßler. Pro Jahr würde es mit 2,7 Millionen Tonnen Kohlendioxid zum Treibhauseffekt beitragen.

Und während allein für 1993 1,5 Milliarden Mark reine Erhaltungssubventionen für Steinkohle bereitgestellt werden, hat die Regierung in Düsseldorf das Förderprogramm zur rationellen Energieverwendung und zur Nutzung erneuerbarer Energiequellen (REN) Anfang November gestoppt. Rund 100 Millionen Mark schluckte das REN-Programm in den letzten vier Jahren. Nachdem 1988 nur 100 REN-Anträge im Wirtschaftsministerium eintrudelten, gab es 1991 mit 9.200 REN-Interessenten geradezu eine Antragsflut zum Bau von umweltschonenden Energieanlagen. Ausgerechnet für diese ökologisch sinnvollste Technik sind jetzt nach Auskunft des Wirtschaftsministeriums „alle finanziellen Spielräume ausgereizt“.