Stolpe lobte Menschenhändler

■ KoKo-Mann Seidel vor Ausschuß

Berlin (taz) – Der Dank des Konsistorialpräsidenten Manfred Stolpe galt insbesondere den Menschen, „die Chancen erkannten, die Wege fanden, Widerstände überwanden und mit viel Mut und Geduld scheinbar Unmögliches verwirklichen halfen“. 15 Jahre Sonderbauprogramm der evangelischen Kirchen waren dem heutigen Ministerpräsidenten in Brandenburg Anlaß genug, am 21. November 1988 in der Friedrichstadtkirche Berlin all jene hervorzuheben, die „bei Kirche und Staat, in der Deutschen Demokratischen Republik und in der Bundesrepublik, zusammengewirkt (haben), um das Sonderprogramm zu verwirklichen“. Der Kirchenmann dankte nicht nur den verstorbenen Bischöfen Krummacher und Noth, dem Sekretär des ZK der SED Verner und dem Staatssekretär Seigewasser. Einen lobte Stolpe besonders: den „leitenden Mitarbeiter des Ministeriums für Außenhandel der DDR, Manfred Seidel“, der wenige Tage zuvor 60 Jahre alt geworden war.

Der frühere MfS-Oberst Seidel wird heute vor dem Untersuchungsausschuß in Potsdam als Zeuge vernommen. Seidel, die rechte Hand des DDR-Devisenbeschaffers Alexander Schalck-Golodkowski, leitete in dessen Wirtschaftsimperium „Kommerzielle Koordinierung“ die Hauptabteilung I, die Geldgeschäfte „und andere Finanzoperationen im In- und Ausland zur Erwirtschaftung von Valutagewinnen“ durchführte. Was die von der Volkskammer nach der Wende ins Leben gerufene „Staatliche Finanzrevision“ im Februar 1990 in dürren Worten festhielt, umfaßte unter anderem die Beschaffung von „Konsumgüterimporten für privilegierte Personen“, die „Realisierung von Sondergeschäften, insbesondere für das Bauwesen und für die in der DDR zugelassenen Kirchen und Religionsgemeinschaften“ – unter die „Sondergeschäfte“ fielen auch die „B-Geschäfte“, das heißt der massenhafte Freikauf von DDR- Häftlingen durch die Bundesregierung. Noch zu DDR-Zeiten hielten die Finanzrevisoren fest, daß Gelder der Hauptabteilung I auch in die Taschen deren Mitarbeiter flossen: „Auf Weisung von Herrn Seidel wurden seit Jahren zinslose Kredite an Mitarbeiter und Bürger zum Erwerb von Bungalows und Pkw, zur Finanzierung von Baumaßnahmen bzw. zur Bargeldbeschaffung ausgereicht.“ Als Kreditverträge dienten danach auch „formlose Notizzettel“.

Manfred Stolpe hatte bei seiner Laudatio die Hilfe des MfS-Mannes bei der Verwirklichung des kirchlichen Bauprogramms im Auge. Es sei zwar „aus gutem Grund“ nicht üblich, diejenigen herauszustellen, die „noch im aktiven Dienst sind“, erklärte Stolpe in seiner Rede, deren Text sich in den Unterlagen des Schalck-Ausschusses wiederfindet. Eine Ausnahme machte er dennoch. „Ohne Seidels kundige, entschlossene und verläßliche Hilfsbereitschaft wäre das Sonderbauprogramm nicht geworden.“ Stolpe wußte aber auch: „Es darf allerdings hinzugefügt werden, daß Manfred Seidel hohe und höchste Chefs hatte und hat, die zu ihm standen, auch wenn er manchmal ohne Netz arbeiten mußte.“ Wolfgang Gast