Asyl-betr.: "Hamburger Manifest", taz vom 23.10.92

Betr.: „Hamburger Manifest“, taz vom 23.10.92

Das Hamburger Manifest ruft ausschließlich zum Erhalt des Artikel 16 auf. Es läßt die Praxis, die Anwendung völlig außer acht. In der Vergangenheit und bis heute wurde es ermöglicht, zehntausende von Abschiebungen durchzuführen. Durch 26 Gesetzesänderungen konnte die verwaltungsmäßige Rechtsplanung so gestaltet werden, daß eine jährliche Anerkennungsquote nur 4,2 Prozent beträgt. Der Artikel 16 ist bereits so ausgehöhlt, daß kurdische Flüchtlinge in ihre Heimat abgeschoben werden, hinein in eskalierte Kriegswirren. Es konnte ein Abschiebe-Vertrag mit Rumänien geschlossen werden, der zehntausende Roma und Sinti mit Vertreibung und Tod bedroht. Flüchtlinge landen zwangsweise in Sammellagern oder Abschiebehaft, was für Kinder familiäre Trennung bedeutet. Alles gesetzmäßig. Die skandalösen Lebensbedingungen von Flüchtlingen müssen angeprangert werden.

„Flüchtlingsströme“ sind keine Donau, sondern Menschen, Individuen, die man nicht „kanalisieren“ (wie Sie schreiben), sondern aufnehmen sollte, wie es die holländische Stadt Leyden macht und gemacht hat. Dies kann nur ohne Preisgabe der kulturellen Eigenständigkeit geschehen. Bewahrung der eigenen Identität muß deshalb gewährt und ermöglicht werden.

Von den 10 Toten in diesem Jahr schreiben Sie nichts, auch nicht von der Angst der Menschen, die in Asylunterkünften leben müssen, daß der nächste Brandanschlag ihnen gelten könnte. (...)

Was ich Ihrem Aufruf entnehme, zielt auf einen Kompromiß hin, der dem Beschluß des Hamburger Parteitages der SPD und Schröders (Niedersachsen) fatal ähnelt: Ergänzung des GG durch die Genfer Konvention. Jeder Flüchtling darf nur ein europäisches Land betreten, Länderlisten als Anhaltspunkt für das Verwaltungsverfahren. Mit anderen Worten: Der Rest des Asylrechts wird getilgt. (...) Hilde Ernst