Der Traum von einem kleinen Zimmer

■ 3000 Obdachlose leben unter meenschenunwürdigen Bedingungen / Immer mehr Frauen und junge Leute ohne Wohnung

leben unter menschenunwürdigen Bedingungen / Immer mehr Frauen und junge Leute ohne Wohnung

Sie besitzen fast nichts, doch selbst die wenige Habe wird ihnen geraubt; sie werden im Schlaf unter Brücken mit Knüppeln zusammengeschlagen, ihnen wird das Zelt über dem Kopf angezündet: Penner, Berber, Obdachlose - mindestens 3000 von ihnen leben in Hamburg unter menschenunwürdigen Bedingungen. So jedenfalls die Schätzung der Sozialwirtin Angelika Horn. Die Autorin erstellte im vergangenen Jahr im Auftrag des Diakonischen Werkes eine erste umfassende Untersuchung über Odachlosigkeit in der Hansestadt.

„Bei meinen ersten Besuchen im Landessozialamt hat es mir fast die Sprache verschlagen, daß hier so viele Menschen dahinvegetieren müssen“, erinnert sich Angelika Horn. Die Gründe fürs Abgleiten: Scheidung, fast immer mit Armut verbunden. 95 Prozent der 400 Obdachlosen, mit denen die Sozialwissenschaftlerin Gespräche führte, waren arbeitslos, mehr als die Hälfte bereits über drei Jahre. Trotzdem träumten nahezu alle von einem Neuanfang - von einem Job und einem kleinen Zimmer. „Manche haben sich völlig aufgegeben“, sagt Angelika Horn. Etwa 22 Prozent der Befragten wünschten nur noch, „morgens auf der Platte einfach nicht mehr aufzuwachen“.

Die wachsende Wohnungsnot hat das Bild des Berbers gewandelt. Immer mehr junge Menschen verlieren heute ihre Wohnung, müssen sich mit Pensionsbetten oder wechselnden Schlafplätzen durchschlagen. Fast 17 Prozent von ihnen sind jünger als 24 Jahre. Auch der Anteil der wohnungslosen Frauen steigt stetig: Nach Horns Studien machen sie einen Anteil von 12 Prozent aus. Ebenso ein Indiz für den Wandel: 70 Prozent der obdachlosen Männer haben einen Berufsabschluß.

Trotz der monatlichen Besuche im überfüllten Landessozialamt wissen viele nichts über Hilfsangebote. 30 Prozent, so fand Horn heraus, kennen keine der Hamburger Versorgungseinrichtungen. „Die Informationen des Landessozialamts sind völlig unzureichen“, glaubt Angelika Horn - wegen der Arbeitsübelastung der MitarbeiterInnen. Bis zu acht Stunden müssten die Hilfesuchenden auf ein Gespräch warten. Bieten können die SachbearbeiterInnen den Obdachlosen jedoch schon seit langem nichts mehr.

„Die stationären Einrichtungen sind voll und die Pensionen schon lange überbelegt,“ berichtet Peter Schröder-Reinecke von der Gefährdetenhilfe. Die städtischen Winternotprogramme werden häufig nicht angenommen. Massenschlafsäle und Ausweiskontrollen schrecken viele ab. In diesem Jahr will die Sozialbehörde daher einen anderen Weg gehen. Auf Flächen von Kirchengemeinden sollen über den Winter Container aufgestellt werden. Einige Geimeinden haben schon Bereitschaft signalisiert.

Doch eine Lebensperspektive bieten auch diese Schlafplätze nicht. Einige hundert Menschen werden in diesem Winter trotzdem im Freien übernachten. Ihre größte Angst: von Schlägern selbst von der „Platte“ verjagt zu werden. Sannah Koch