Klassische Greuel

■ Shakespeares „Titus Andronicus“ von der Bremer Shakespeare Company

Der ausufernde Blutstrom, der in diesem klar gebauten Stück zu bewältigen ist, bleibt ausschließlich dem Spiel vorbehalten. Die Ausstattung präsentiert als Gegengewicht die Welt in einem glanzvollen Schein von Ordnung. Aus mehreren hohen Rechtecken in Weiß und Grau ein weiterer Bühnenraum von ausgewogener, kühler Eleganz: ein Viertel, in dem sich Banken oder Verwaltungen repräsentieren, ebenso nah wie ein römischer Tempelbezirk. Die Kostüme zeigen sich gemessen prächtig, halb hanseatisch gediegen, halb italienisch freudig, eine Zierde der Figuren. Nur einige Male sind sie kritisch, etwa um den gierigen, begriffsgehemmten Kaiser Saturnius andeutungsweise zu verfetten oder den am Ende zum Kaiser akklamierten Sohn des gegen die Goten siegreichen Feldherrn Titus Andronicus einzudüstern.

Diesem lebensklugen Militaristen erwächst aus dem Erfolg und seinen Geschenken an den Kaiser eine Hölle aus Intrigen und Rachegelüsten der gefangenen Gotenkönigin Tamora, die Gemahlin des Kaisers wird. Die Andronicus-Familie hat nur gelernt, mit dem Gut der Kriegerehre zu wirtschaften. Erst nach furchtbaren Verlusten und nahe der Selbstaufgabe, erfindet sie eine ebenso scheußliche wie wirksame Gegenintrige.

Die Bremer Shakespeare Company zeigt bewegungsreich und charakterstark Mordlust sowie viele Varianten der angstvollen Aufmerksamkeit auf die Lebenssicherung. Ihr gelangen nur zwei Dinge nicht: einmal den Mohren Aaron, den Geliebten der Kaiserin, wirklich als Bösen zu motivieren – er bleibt pittoresk hexenhaft. Dann die Intrige, die dem Zuschaueramüsement preisgegeben wird, anstatt sie als damals hohe Überlebenskunst zu präsentieren in einem Staat, in dem erworbene Macht und Rache noch offizielle Handlungsprinzipien sind, weil keine neuzeitliche Gewaltenteilung durchgesetzt ist, die jenen Rache- und Tötungsgelüsten wenigstens im Inneren der Gesellschaften entgegenwirken könnte.

Der Abend endete mit entschlossenem Beifall und mit vielen Bravos. Da erstaunte man noch einmal, daß nur drei Frauen und drei Männer dieses Stück von zwei Dutzend Figuren derartig leuchten lassen konnten. Berthold Rünger

Regie: Pith Holzwarth, Bühne: Sybille Meyer, Kostüme: Heike Neugebauer, mit Norbert Kentrup, Renato Grüning, Christian Dieterle, Barbara Katz,Dagmar Papula und Robert Brandt.

Weitere Aufführungen: 28.11. und 5.12. in der Freien Volksbühne, Schaperstraße.

Morgen auf diesen Seiten: großer Bericht über das Gastspiel der Bremer Shakespeare Company.