Ansätze für eine lokale Ökonomie

■ Selbsthilfeprojekte und Wissenschaftler aus ganz Europa diskutieren eigenständige Lösungskonzepte in Krisenregionen

Berlin. „Neue Arbeitsstellen zu definieren, in denen die Produktivität geringer ist“ – der norwegische Friedensforscher Johan Galtung formulierte mit einem Satz das Prinzip des Kongresses, der seit dem Bußtag bis heute in Berlin stattfindet: vom Produktivitäts- und Wachstumsfetisch wegzukommen und zurückzukehren zu einer an den lokalen Bedürfnissen orientierten Ökonomie. Rund 500 WissenschaftlerInnen, Menschen aus Projekten, Arbeitslose und kommunale Wirtschaftspolitiker diskutierten dort über „Beschäftigungs- und Strukturpolitik in Krisenregionen.“

Johan Galtung teilte die Welt mit wenigen Sätzen in die prosperierenden Wirtschaftsregionen der Industrieländer Europas, Nordamerikas und des Fernen Ostens und in die „Dritte Welt“. Die besteht in Galtungs Worten aus der „klassischen“ und einer neuen „Dritten Welt“: den Ländern des ehemaligen Ostblocks. Charakteristika der Regionen seien das Überangebot auf der einen Seite und auf der anderen die Tatsache, „daß man nicht genug nachfragen kann“. Diese Zweiteilung lasse nach Galtung eine Massenmigration aus den beiden Dritt-Welt- Regionen in die reichen industrialisierten Zonen erwarten, die sich mit Massengewalt dagegen zu wehren versuchten.

Galtungs Analyse, daß die Alternative zur Massengewalt, nämlich eine massenhafte Entwicklung auf selbstbestimmter, regionalbezogener Grundlage nicht stattfinde, inspirierte die praktisch und die theoretisch interessierten Kongreßteilnehmer gleichermaßen. Man könne nicht aus der Produktivität aussteigen, meinte Holger Kaselow, Geschäftsführer der Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft Fernsehtechnik in Schöneweide. Wer die Produktivität freiwillig drossele, fiele sofort aus dem Weltmarkt heraus. „Gott sei Dank“, rief daraufhin Rudolf Bahro. Die auf dem Weltmarkt geforderte Produktivität sei Menschen- und Weltzerstörung, sagte der Philosoph. In der ehemaligen DDR solle man den Wettlauf um diese Produktivität gar nicht erst aufnehmen. Und Holger Kaselow lieferte Zahlen dazu aus seinem eigenen Haus: Von 9.400 im Jahr 1990 beim Institut für Fernsehtechnik Beschäftigten sind „dank einer puren Privatisierungspolitik der Treuhand“ (Kaselow) heute 800 übriggeblieben.

Gleichzeitig konnte Holger Kaselow zeigen, daß sich viele Beschäftigte des ehemaligen Instituts „auf den Weg der Eigeninitiative“ begeben haben. Er bezeichnete dies als Ansätze zu einer lokalen Ökonomie, wie sie auf dem Kongreß diskutiert wurde. Die Arbeitslosen hätten Unternehmen gegründet, die Infrastrukturmaßnahmen verfolgten, die soziale und Gemeinschaftsaufgaben übernähmen oder zu den Klein- und Mittelständlern zu rechnen seien.

Auf dem Kongreß stellen sich Arbeitslosen- und Gemeinwesenprojekte aus ganz Europa vor. Zu den Berlinern darunter zählen etwa Pfefferwerk e.V., das Weddinger Kommunale Forum oder Leben und Arbeiten in Schöneberg. Zahlreiche Projekte kommen aus Großbritannien. Von den dortigen Erfahrungen mit Krisenregionen leiten sich die theoretischen Wurzeln für das Forschungsprojekt Lokale Ökonomie an der Technischen Universität ab, einem Veranstalter des Kongresses. cif