Stolpe war eine „zentrale Figur“

■ Untersuchungsausschuß fortgesetzt

Potsdam (taz) – Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe war für die Bonner Politiker die „zentrale Figur“ bei den deutsch- deutschen Kontakten. Dies galt sowohl zu Zeiten der sozialliberalen Koalition als für die Bundesregierung unter der Führung von Kanzler Kohl.

Vor dem Untersuchungsausschuß des Potsdamer Landtages erklärte gestern der Brandenburger Justizminister Hans-Otto Bräutigam, Stolpe sei von der Regierung im Westen als der „politische Kopf“ der evangelischen Kirchen in der DDR betrachtet worden. Er habe nicht nur über einen großen Einblick in die Situation der Bevölkerung in der DDR verfügt – der frühere Konsistorialpräsident habe es auch verstanden, „seinen Gesprächspartnern ein sehr genaues Bild zur Lage in der DDR zu vermitteln“.

Ausgehend von der Vorstellung, daß beide deutsche Staaten noch lange Zeit existieren würden, hätte die Bundesregierung auch nach dem Bonner Regierungswechsel 1981 ein ausgesprochenes Interesse an detaillierten Informationen zur inneren Lage der DDR entwickelt. Die Kontakte zu den Vertretern der Kirche, die Bräutigam zufolge in den achtziger Jahren ausgebaut wurden, dienten einerseits der Stärkung der Rolle der Kirchen in der DDR – andererseits habe die Bundesregierung wissen wollen, wie ihre Deutschlandpolitik von den Kirchen in der DDR bewertet würde. Nicht zuletzt sollte mit den Kirchenkontakten der Kritik an den intensiven Beziehunen zur Staats- und Parteiführung der Wind aus den Segeln genommen werden.

Bräutigam, der vom Mai 1982 bis zum Januar 1989 die Ständige Vertretung der Bundesregierung in Ostberlin leitete, betonte, bei den Gesprächen seien wichtige politische Fragen erörtert worden, „die im Verhältnis zwischen beiden deutscben Staaten eine zentrale Rolle spielten“.

Ob Manfred Stolpe vertrauliche Interna aus diesen Gesprächen an den Staatssicherheitsdienst der DDR weitergab, ließ die Befragung durch die Ausschußmitglieder offen. Bräutigam räumte ein, daß die meisten der Gesprächsteilnehmer davon ausgegangen seien, „daß Stolpe und andere Kirchenvertreter von den Gesprächsinhalten Gebrauch machten“. Die Bundesregierung habe die Kontakte auch genutzt, um auf diesem Weg Meinungen und Warnungen am protokollarischen Weg vorbei der DDR-Staatsführung zukommen zu lassen.

Die Vertreter des Bündnis90 brachten gestern erstmals einen Vermerk zur Sprache, nach dem die Bundesregierung möglicherweise schon vor der Wende Hinweise auf eine MfS-Tätigkeit Stolpes hatte. Ausweislich eines Stasi- Berichtes soll Pfarrer Eppelmann bei einem Treffen im Bundeskanzleramt unter Verweis auf Erkenntnisse des Bundesnachrichtendienstes von einem hohem Regierungsbeamten darüber informiert worden sein, daß Stolpe als hoher Offizier des MfS eingeschätzt werde.

Ursprünglich sollte vor dem Ausschuß auch der Stellvertreter des DDR-Devisenbeschaffers Schalck-Golodkowski, Manfred Seidel, befragt werden. Er blieb gestern der Ausschußsitzung ohne Angabe von Gründen fern. Wolfgang Gast