Wiener Schnitzel wirkt Wunder

ATP-Finale: Boris Becker besiegt Korda und „Glücksrad“, Jim Courier langweilt sich, Sampras und Edberg bezaubern das Publikum  ■ Aus Frankfurt Michaela Schießl

Gegen halb zwei Uhr nachts bat Boris Becker das Häufchen ausharrender Journalisten zu sich in die Umkleidekabine. „Guten Abend alle zusammen, setzt Euch doch zu mir.“ Er weiß, es ist seine beste Nummer: Boris lädt ins Wohnzimmer, in den Bauch der Familie. Seine Frau Barbara Feltus war da, sein Trainer Günther Bresnik, und auch Frau Korda flezte gemütlich im Korbsofa. Seit 21.15 Uhr hatte Becker hier unten in den Katakomben der Frankfurter Festhalle auf seinen Einsatz beim ATP-Finale gewartet. Als er endlich auf den Court durfte, war es fast Mitternacht. „Das ist doch nicht normal“, befand er. „Selbst beim Davis Cup wird um zwölf Uhr abgebrochen. Da lassen die mich hier erst anfangen.“

Besonders erboste ihn die einstündige Pause zwischen dem ersten und zweiten Match, in der der Privatsender Sat.1 das „Glücksrad“ überträgt. „Diese Stunde bringt nur Sat.1 was und den paar Gewinnern. Bis ich schlafen kann, ist es vier, halb fünf. Stellen sie sich vor, wenn ich morgen spielen müßte...“ Nur dem Zufall ist es zu verdanken, daß der Final Countdown zwischen Edberg und Becker erst heute stattfindet. Wer gewinnt, kommt weiter. Edberg schätzte seine Chancen messerscharf auf 50:50. Und Boris? „Der Mann hat die Lage erkannt.“

29 Mal haben die beiden bislang gegeneinander gespielt, die Bilanz lautet 19:10 für Becker. Um heute zu gewinnen, spannt der Mann mit den hellen Wimpern sein Publikum ein: „Ich brauche den Ansporn der Fans.“ Die seien diesmal einmalig: „Noch nie war die Stimmung so gut wie hier in Frankfurt“, schwärmt der Tennis-Schauspieler und mutmaßt: „Ich glaube, die haben es gern, wenn ich spiele.“ Kein Wunder, denn Becker interagiert aufs heftigste mit seinem Volk. „Attacke, Boris“, schrie ein Kampfschwein von der Tribüne. Prompt salutierte Becker ironisch, rührte sich und schlug den Tschechen Petr Korda („Ich habe einen guten Körper für Hugo Boss“) mit 6:4 und 6:2 aus dem Anzug.

Die eisernen Zuschauer hatten zu dem Zeitpunkt acht Stunden Filzball hinter sich, wobei die ersten drei Stunden mehr Strafe waren denn Vergnügen. Selbst die wenigen Ballwechsel, zu denen es zwischen Jim Courier und dem schnellsten Aufschläger der Tour (212km/h), Richard Krajicek kam, waren langweilig. Im dritten Satz schimpfte der Weltranglisten-Erste laut, daß es ihm langweilig sei und forderte nach seinem knappen Sieg einen langsameren Boden, „damit das Spiel mehr Spaß macht“. Courier sei nicht der Richtige, sich zu beschweren, rügte Becker: „Der spielt nun wirklich kein sehr schönes Tennis.“ Richard Krajicek hingegen hatte Spaß: „Wenn Courier sich langweilt, sollte er duschen gehen.“

Daß Tennis auch zu zweit gespielt werden kann, zeigten anschließend Stefan Edberg und Pete Sampras. Was die Nummern zwei und drei der Welt dem Publikum boten, riß die Zuschauer erstmals bei diesem Turnier von den Sitzen. Passierbälle, Volleys, Lobs, durchgezogen, Topspin oder Slice, geschnitten oder am Stück – die beiden spulten das gesamte Tennisrepertoire herunter und mehr. „Pete spielt Bälle, die stehen nicht im Buch“, jammerte tags zuvor schon Becker, und auch Edberg, der einen genialen Tag erwischte, bekam dies zu spüren. 6:3 gewann Sampras Satz Nummer eins und Edberg den zweiten, bevor ihn im dritten eine alte heimtückische Schwäche einholte: „Manchmal kann ich das Match nicht beenden, einfach nicht gewinnen.“ Als Sampras in der Pause beim 6:5 seelenruhig den Filzstift rausholte und sein Schlägeremblem nachmalte, war es um Edbergs Nervenkostüm geschehen. Mit einem Doppelfehler bescherte er dem Amerikaner zwei Matchbälle. Der erste genügte. Sampras gewann 6:3, 3:6 und 7:5. „Eine kleine Revanche für die Niederlage bei den US Open“, feixte Sampras anschließend. Und ahnte auch den Grund für seine phänomenale Form: „Vielleicht liegt es am Essen. Ich sage nur: Wiener Schnitzel.“