Wo die EG an Brasilien grenzt

■ In Französisch-Guayana wird die "Festung Europa" im Dschungel verteidugt

Über dem Würfel aus Beton, der das Rathaus beherbergt, weht die französische tricolore. Auf dem Platz davor spielen Männer Boules. Keine Straße, keine Sandpiste führt nach Saint-Georges. Der kleine Ort am Oyapok-Fluß ist ein Außenposten der république française im noch immer undurchdringlichen Dschungel. Auf der anderen Seite des Flusses liegt der dürre, chronisch arme Nordosten von Brasilien.

Französisch-Guayana, fast so groß wie die einstige DDR, doch mit weniger EinwohnerInnen als Erfurt, ist die letzte europäische Kolonie auf dem amerikanischen Festland. Ihre beiden Zwillingsschwestern sind seit Jahren unabhängig: aus dem direkt angrenzenden Niederländisch-Guayana wurde 1975 der Staat Surinam, Britisch-Guayana ist seit 1966 die unabhängige Republik Guyana. Im Gegensatz dazu ist Französisch- Guayana noch heute ein département d'outre-mer, ein französisches Übersee-Departement, das rechtlich jedem Departement im Mutterland gleichgestellt ist. Den rund 150.000 citoyens von Guayana steht die französische Sozialhilfe zu und der lila Europa-Paß.

Frankreich läßt sich sein Stück Südamerika einiges kosten: nach offiziellen Zahlen jährlich 1.000 US-Dollar pro EinwohnerIn, ein als Entwicklungshilfe ausgewiesener Finanztransfer, von dem ein souveränes Dritte-Welt-Land nur träumen kann. Doch Entwicklung kommt damit kaum in Gang, und von der „Monokultur Weltraumraketen“, dem großen europäischen Raumfahrtzentrum in Kourou, gehen kaum Impulse für die übrige Wirtschaft aus. Guayanas Bevölkerung wird mit hohen Kosten alimentiert, die extreme Abhängigkeit vom Mutterland jedoch mehr verewigt als überwunden.

Dennoch, für den Grenzposten in Saint-Georges ensteht daraus die kaum zu bewältigende Aufgabe, am unüberschaubaren Oyapok-Fluß die „Festung Europa“ zu verteidigen. In langen Kanus mit Außenbordmotoren werden hier die Armen und Arbeitssuchenden aus Brasilien über die Grenze geschmuggelt, den Fluß und dann die Küste entlang bis zur Hauptstadt Cayenne. Denn war Guayana einst Frankreichs mörderischste Strafkolonie, eine „grüne Guillotine“, so ist es heute für die Habenichtse aus den Nachbarländern zur Verheißung geworden. Die niedrigen Schwarzarbeiterlöhne der Einwanderer sind bis zu fünfmal höher als die Verdienstmöglichkeiten in Brasilien oder Surinam. Reisebüros in Belem, der nordbrasilianischen Großstadt an der Amazonasmündung, bieten den illegalen Trip komplett bis Cayenne an. 25.000 BrasilianerInnen, so eine Schätzung, sind in den letzten zehn Jahren nach Guayana gekommen, dazu noch einmal so viele aus Haiti sowie mehrere tausend aus Surinam und dem einstigen Britisch- Guayana.

In Guayana werden diese Immigranten jedoch zunehmend als Bedrohung empfunden. „In den letzten Jahren hat die Einwanderung ein solches Ausmaß angenommen, daß den örtlichen Volksgruppen Lasten aufgebürdet werden, die sie alleine nicht mehr tragen können“, sagt vorsichtig Elie Castor, Präsident des Generalrats von Französisch-Guayana und Führer der Parti Socialiste Guayanaise. Die „Vereinigung gegen Diebstähle und Überfälle“ oder die Commercants en Colere, die „wütenden Händler“, machen in drastischerer Sprache mobil gegen die „Invasion durch die Fremden“.

Die Behörden lassen inzwischen sehr viel mehr „Illegale“ als früher zurück zur Grenze transportieren und abschieben. Zudem fordern sie Mittel aus Frankreich an, um die grüne Grenze unter Kontrolle zu bringen. Doch noch hat Paris andere Prioritäten. Die 1.200 Soldaten der Fremdenlegion sind in Kourou stationiert, um das Weltraumzentrum und die Villen der weißen Techniker zu sichern, nicht in Saint-Georges am Oyapok-Fluß. Bert Hoffmann