"Der Wahnsinn hat Methode"

■ Seit einem Jahr ist Stephan Barbarino Intendant der neuen Hamburger Kammerspiele / Im taz-Gespräch zieht er eine erste Zwischenbilanz

Intendant der neuen Hamburger Kammerspiele/Im taz-Gespräch zieht er eine erste Zwischenbilanz

Sie sind jetzt seit einem Jahr Intendant der Kammerspiele. Wahrscheinlich haben Sie sich das weniger turbulent und anstrengend vorgestellt?

Daß es viel Arbeit ist, das habe ich schon gewußt, und daß diese Arbeit Spaß machen kann. Vor allem die Arbeit des Regisseurs, das ist die wichtigste für mich. Doch daß die Leute dann auch kommen und sich das ankucken, das habe ich mir etwas einfacher vorgestellt. Nach dem ganzen Vorlauf, nach dieser riesigen Pressekampagne, nach dem, was so an dummen Dingen gelaufen ist, habe ich mir die Neugier größer vorgestellt.

Es ist aber doch auch so, daß vielen potentiellen Zuschauern das Programm zu heterogen ist. Zwischen „Heimatlos“, einer schrillen Wirtshausoper, und Tankred Dorst, zwischen Chansons und „Stella“ als Tanztheater ist es nicht leicht, ein Profil zu erkennen.

Es ist meistens schwierig, wenn man ein Programm im Auge hat, das weg von den Schubladen führt. Das heißt nicht, daß es ein Gemischtwarenladen ist. Ganz im Gegenteil: Der Wahnsinn hat Methode. Zum Beispiel „Stella“: Das Gastspiel des Tanztheaters Münster war das erste Mal, daß in den Kammerspielen eine Umsetzung von Goethes Stück in Tanz und Bewegung stattgefunden hat. Und danach kommt Edith Clever und spricht den Goethe. Einmal eine Umsetzung in Sprache, einmal in Bewegung. Von daher: Daß wir das schrille „Heimatlos“ als Auftakt gemacht haben, und dann ein echtes Kammerspiel mit dem Dorst, das hätte eigentlich mehr Interesse hervorlocken müssen. Aber ich glaube, daß es noch zu früh ist, weil der Spielplan eben nicht ein Schlagwort hat, sondern weil das Unerwartete zählt.

Ein Programm, das weg von Schubladen führt

Aber es ist doch trotzdem so, daß Sie sich über Presse nicht beklagen können. Es gab diverse Vorberichte über „Stella“ und dann waren nur eine Handvoll Gäste dort.

Der Grund liegt bestimmt darin, daß wir nicht in dem großen Monatsprogramm vom Bühnenverein erscheinen dürfen. Das Bewußtsein für dieses Theater muß bei vielen Leuten erst einmal neu geweckt werden. Wenn man unser Programm jetzt an der Stelle finden würde, wo die Kammerspiele 40 Jahre lang waren, wäre das anders.

Sind die Kammerspiele momentan in ernsthaften finanziellen Schwierigkeiten? Die Platzauslastung beim Tankred Dorst-Stück soll 10 Prozent gewesen sein, „Heimatlos“ soll zuletzt auch nicht mehr so voll gewesen sein, „Stella“ habe ich angesprochen, sind solche Verluste noch auszugleichen?

Es ist doch so, daß sich so etwas immer erst einmal durchsetzen muß. Man geht ja nicht davon aus, daß man das Theater aufmacht, und dann ist es voll.

Ihre Anfangskalkulation war aber doch eigentlich 50 Prozent Platzauslastung?

Klar, aber die Kalkulation kann man eigentlich erst machen, wenn man mal ein halbes Jahr Spielzeit hinter sich hat.

Das Ergebnis ist aber nicht so dramatisch, daß der Bestand Ihrer Kammerspiele GmbH gefährdet ist?

Im Moment stehen wir so, daß wir die nächste Zeit durchhalten können und daß man nach einer Spielzeit sehen kann, wie der Stand der Dinge ist. Ich kann jetzt schon einiges vorweisen, was Sponsoring betrifft, weil ich glaube soviel Furore wie unser letzter West-Spot, hat selten etwas im Theater gemacht. Ich bin auch sehr

Kann bereits einiges an Sponsoring vorweisen

froh, daß das Restaurant Anfang Dezember eröffnet. Dann haben wir endlich einen Kommunikationsort. Es hat sich ja jetzt auch viel dadurch verzögert, daß sich beim Umbau des Restaurants herausgestellt hat, daß die ganzen Kanalisationsröhren im Keller defekt sind. Das sage ich immer wieder: Da sind Altlasten.

Die Gastronomie war doch von Anfang an als eine feste Stütze des Theaters eingeplant, und bis jetzt ist ja keinerlei Gastronomie gelaufen. Zusammen damit, daß der vielleicht erhoffte Anfangsschub ausgeblieben ist, stellt sich doch die Frage, wo kommt das viele Geld her, was da nicht erwirtschaftet wurde? Bedeutet das, daß der Etat dieses Jahr soweit überschritten wird, daß man die Kulturbehörde dann plötzlich um einen Nachtrag bitten muß?

Nein. Wir haben ein ziemliches Polster an Stammkapital, um eine Durststrecke zu überbrücken. Das Geld ist schließlich da, um damit zu arbeiten.

Am 16. Dezember ist ein weiterer Gerichtstermin mit den ehemaligen Mitarbeitern der Kammerspiele anberaumt, die der Meinung sind, daß Sie die Kammerspiele rechtlich übernom-

1men und nicht neugegründet haben und deswegen ihre Forderungen von circa 250000 Mark begleichen müssen. Was geschieht, wenn diese vor Gericht Recht bekommen?

Ich übernehme niemand und zahle auch kein Geld

Da ich immer noch davon ausgehe – und das war die Verabredung von vor einem Jahr –, anzutreten, um meinen eigenen Betrieb zu machen und nur mit Mitarbeitern, die auf meinem Mist gewachsen sind, ist für mich immer ganz klar, daß ich niemand übernehme, und auch dafür kein Geld zahle.

Wenn nun aber das Gericht anders entscheidet, was bedeutet das für Sie und die Kammerspiele?

Tja, dann muß man neu nachdenken.

Es steht nun aber in Ihrem Bewerbungskonzept, „Die Belegschaft könnte (...) fast komplett wieder übernommen werden.“

Das ist die erste Überlegung gewesen, die überhaupt stattgefunden

1hat, als die ganze Situation mit den Konkursgeschichten noch nicht so weit war. Von daher hat sich da etlich was geändert. Auf der ersten Pressekonferenz, vor einem Jahr in der Kulturbehörde, da habe ich schon gesagt, daß ich erst einmal kucken muß. Ich wußte bis dahin ja gar nicht, wer ist weg, wer hat gekündigt, wer ist noch übrig. Nach der Besichtigung, und als klar war, es ist überhaupt nichts mehr da, sogar die Stühle im Logensaal sind versteigert, da mußte eine ganz neue Rechnung aufgemacht werden. Von dem Moment der Rechnung bis zum Moment der Einstellung waren dann noch einmal mindestens acht Planstellen weg.

Sie haben im letzten Jahr viele Pläne verkündet, die gar nicht oder nur sehr unvollständig realisiert wurden. Einer dieser Ansprüche war, daß der 'Freihafen' sich ausschließlich mit der Geschichte der Deutschen Juden beschäftigen soll. Inwieweit wird dieser Anspruch aufrechterhalten?

Das, was wir im Moment im Freihafen an Veranstaltungen auf die Beine stellen können, das hat immer damit zu tun, daß wir dafür kein Budget haben. Wir haben angefangen mit der Rekonstruktion einer Kulturbundveranstaltung von 1939, haben mit israelischen Autoren die Schlußveranstaltung der israelischen Literaturtage gemacht und Johannes Silberschneider hat aus dem Roman „Stadt ohne Juden“ gelesen. Das war für mich auch immer ein wichtiger Punkt, die Tradition des Hauses aufzuarbeiten. Im Moment brauchen wir aber unsere Kapazität derart massiv im Hauptprogramm, daß wir nicht irgendwas zusätzlich machen können, was uns Geld kostet. Von daher ist es immer noch ein Thema, aber nicht ausschließlich.

Ich will nicht nur einen Spielort stellen

In Ihrem ersten Konzept taucht zweimal der Satz auf, Sie wollen mit den Kammerspielen schnell auf aktuelle gesellschaftspolitsche Themen reagieren. Wäre nicht die zunehmende Ausländerfeindlichkeit und der neue Rechtsradikalismus ein Thema, auf das gerade die Kammerspiele reagieren müßten?

Ich finde ja, daß „Heimatlos“ eine wunderbare Geschichte ist, die damit sehr viel zu tun hat, mit unserer momentanen Lage. Das Stück paßt unheimlich gut in die ehemalige DDR. Aber bei Dingen, die viel Planung brauchen, muß man auf ein halbes Jahr hinaus kucken. Gerade mit der kleinen Mannschaft, die wir haben. Natürlich gibt es eine Perspektive, daß man sagt, man will jetzt erweitern und vergrößern, auch mehr im Logensaal machen.

Sie wollten auch eine starke Verbindung zu den Osttheatern schaffen.

Das ist wahnsinnig kompliziert. Wir können im Moment schlecht mit einer Produktion von uns irgendwohin fahren. Und es ist eine unheimliche Belastung, eine größere Produktion von außen hereinzuholen, wenn dem nicht auch eine lange Planung vorausgeht. Wir sind natürlich beim Überlegen, in Koproduktionen etwas zu initiieren. Aber da kommt man immer wieder drauf, daß es so Schienen gibt, und da derartige Formen der Koproduktion bestehende Systeme zwingt, flexibler zu sein, ist das furchtbar kompliziert.

Werden Hamburger Gruppen in Zukunft die Möglichkeit haben in den Kammerspielen aufzutreten?

Es gibt natürlich viele Anfragen, aber mir geht es nicht nur darum, einen Spielort zu stellen, sondern es muß auch mit unserer Idee, mit unserem Niveau zu tun haben. Wir können aber auch nicht alles, was wir uns ausgedacht haben, innerhalb von vier Monaten aufs Tablett bringen. Aber unser momentanes Programm ist sehr reichhaltig.

Im Nachhinein ist alles viel einfacher

Aber jeden Tag eine Premiere, das war dann doch ein bißchen viel.

In dem Moment, wo die Gastronomie funktioniert und man ein Zentrum im Haus hat, ist es relativ einfach, ein Stück wie „Verzogen“ nicht nur einen Abend zu spielen, sondern jeden Abend ein Kurzdrama. Es gibt diese wunderbaren Minidramen, die oft nur aus einem Satz bestehen. Und das war eine ursprüngliche Idee, im Logensaal im Zeitraum von drei Wochen jeden Abend ein Minidrama zu spielen und damit jeden Abend eine Premiere zu haben. Aus diesem Zusammenhang stammt der Satz.

Wenn Sie jetzt noch einmal zurückblicken auf den Streit mit ihrem ehemaligen Mitgesellschafter Thomas Friese, warum haben Sie dieses Debakel nicht verhindern können?

Weiß ich nicht. Wenn man anfängt, Ideen probiert und brainstorming-mäßig auf irgendetwas losgeht, und dann passieren außenrum zu viele Dinge, die die Konzentration vom Theater auf andere Dinge lenken, dann erschwert so eine Konstellation das Arbeiten. Deshalb mußte man sich wieder auf eine Sache konzentrieren, das Theater eben. Und deshalb kam es zu diesem ganzen Debakel.

Aber hätte man nicht ziemlich schnell erkennen können, daß man mit Friese nicht kann? Anzeichen hat es doch wohl genug gegeben.

Im Nachhinein ist das alles viel einfacher. Es ist doch so: Ich komme doch nicht an und weiß schon alles. Wir sind eine Gruppe, die unheimlich lernfähig ist, und wir wollen auch aus dem was passiert auch immer dazulernen. Wir sagen auch nicht, wir wissen immer schon alles, und wir sind die großen Theater-Intendanten-Künstler- und-so. Wir sind angetreten, um eine Idee von Theater weiterzutreiben. Das geht nicht über vier Wochen, sondern nur über einen kontinuierlichen Zeitraum, um mit den Schauspielern zu arbeiten und immer wieder etwas rauszukitzeln, zu erfahren, was die Arbeit am Theater überhaut so aufregend macht. Fragen: Till Briegleb