Sanssouci
: Nachschlag

■ Klaus Schlesinger las aus neuen Texten

Zwei Briefe waren es, die Klaus Schlesinger dem kleinen Leserkreis zu Gehör brachte, der sich in der Köpenicker Bibliothek eingefunden hatte. Zwei Briefe aus seinem Buch „Fliegender Wechsel“ – einer Art Tagebuch, das bereits 1990 bei Fischer und Hinstorff gemeinsam erschien und allgemein wenig Beachtung fand.

Zwei Briefe, die an eine Frau gerichtet sind. Der erste heißt „Davor“ und der zweite „Danach“. Trotzdem erwartet jeder Zuhörer und jede Zuhörerin, daß es sich um politische Texte handelt, nicht zuletzt, weil die Veranstaltung unter dem Motto steht: „Wie wird man ein Westler?“ Aber der politische Gehalt konzentrierte sich auf die letzten fünf Minuten der über eine Stunde währenden Vortragszeit. Die bis dahin gelesenen Seiten offenbarten Schlesingers Gedanken und Erinnerungen an die vier oder fünf Frauen (als Unbeteiligte und letztlich daran nicht so sonderlich Interessierte verliert man leicht den Überblick), die in seinem Leben mehr oder weniger wichtige Rollen spielten.

Bei der Aufarbeitung seiner Beziehungen spart Schlesinger nicht mit Klischees: seine zweite Frau Helene – unschwer als Bettina Wegener zu identifizieren – empfängt ihn auch nach Jahren der Trennung noch im immergrünen Gärtchen, wo beide ganz wunderbar über alte Zeiten reden können; Ulrike – hier ist's schon schwieriger herauszubekommen, wer sich hinter dem Pseudonym verbirgt – verwandelt sich gleich nach dem Auszug aus der gemeinsamen Wohnung vom Mädchen in Parka und Jeans in eine Dame mit kaminroten Lippen und ebensolchen Pumps. Im Klartext: Der Dichter hatte es schwer mit den Frauen, und weil alles so kompliziert ist und wohl auch die Midlifecrisis zuschlägt, investiert er nun gar nichts mehr in die Liebe und fühlt sich eigentlich seit Silvester letzten Jahres als Asket besser denn je.

Schlesinger soll nicht Unrecht getan werden: Er ist ein brillanter Erzähler, der zu DDR-Zeiten aufregende Bücher geschrieben hat. Möglicherweise offenbaren und reflektieren die anderen Texte des Bandes politische Vorgänge weitaus differenzierter als diese beiden, in denen alle erzählten Geschichten immer wieder bei den Frauen – und nur da – ankommen. Die Briefe sind beide von derselben Unentschiedenheit, und erst ganz am Ende begreifen die Zuhörer das „Davor“ und „Danach“. Dann nämlich, wenn Schlesinger historisch genau auf Daten des 89er Herbstes eingeht und fast dokumentarisch seine Befindlichkeiten in dieser Zeit beschreibt.

Leider endet der Brief genau an der Stelle, wo es spannend wird: am 18. Marz 1990, mit der Volkskammerwahl in der DDR. Über das, was danach kam, ist in diesem Buch nicht viel zu erfahren. Da wundert man sich natürlich, und zu Recht. „Denn“, so Schlesinger, „an dem Punkt, wo alles anfing, sich zu wiederholen, habe ich mit dem Tagebuchschreiben wieder aufgehört.“ Sybille Burkert