Rechtsradikal – aber nicht abgeschrieben

■ Fachtagung über Jugendarbeit und Rechtsradikalismus/ „Es geht um ihre Probleme, nicht um jene, die sie machen“

Mitte. „Ich bin ein Nazi“, sagt der Skinhead aus Lichtenberg zu seinem Sozialarbeiter. Dieser widerspricht mehrfach, und auf die Frage schließlich, was ein Nazi sei, fällt dem jungen Mann gar nichts ein. „An diese Menschen müssen wir uns mit unserer Jugendarbeit wenden, wenn wir etwas gegen die Eskalation von Gewalt und die Radikalisierung der Jugendlichen tun wollen“, sagte der Jugendarbeiter Thomas Mücke anläßlich der Fachtagung „Jugendarbeit und Rechtsradikalismus“, die heute endet. In Berlin gebe es nicht mehr als 53 organisierte Neonazis, und die seien durch kein pädagogisches Konzept mehr beeinflußbar. Der weit größere Teil gewaltbereiter Jugendlicher aber zeichne sich durch ein diffuses, unstrukturiertes Weltbild aus und sei durch einfühlsame Jugendarbeit zu erreichen.

Jugendarbeit vor Ort sei eine Art soziales Wahrnehmungsorgan, das die Wirkungen sozialer Spannungen bei Jugendlichen erkenne, sagte Staatssekretär Klaus Löhe von der Senatsverwaltung für Jugend und Familie. „Zum anderen erfüllt sie eine wichtige Kommunikationsfunktion.“ Oft seien die Streetworker und Jugendsozialarbeiter die letzten Vertreter der etablierten Gesellschaft, mit denen Jugendliche Kontakt hielten. Löhe betonte, daß die Jugendpolitik in Berlin einen integrativen Ansatz und keine Ausgrenzungsstrategie verfolge. Gerade Jugendliche, die vom Abrutschen in die rechtsradikale Szene bedroht seien, dürften nicht sich selbst überlassen bleiben. Die Fachtagung solle einen Informations- und Erfahrungsaustausch ermöglichen und Wege entwickeln, die Probleme in Kooperation mit den Jugendlichen anzugehen.

„Jugendarbeit muß bei den Problemen einsetzen, die die Jugendlichen haben und nicht bei denen, die die Gesellschaft mit ihnen hat“, forderte FH-Professor Kurt Möller. Rechtsextremes Gedankengut, das die Ideologie der Ungleichheit in Verbindung mit Gewalt gegen Menschen akzeptiere, finde sich auch bei 30 Prozent der Erwachsenen. Umgekehrt sei das Problem der Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen nicht auf den Rechtsextremismus zu reduzieren. Vielmehr trügen die gewalttätigen Gesellschaftsstrukturen ihren Teil dazu bei. Der Buchautor Eberhard Seidel-Pielen verwies auch darauf, daß vermehrte Übergriffe gegen Ausländer immer dann aufkämen, wenn die Politik gerade wieder die Asyldebatte hochkoche: „Die Jugendlichen haben in Interviews bestätigt, daß sie sich nicht nur in ihren Ansichten, sondern auch in ihrer Gewaltanwendung durch diese Debatten bestätigt fühlen.“ Auch Schulsenator Jürgen Klemann (CDU) drägte gestern in einer Pressekonferenz darauf, an den Schulen Präventivmaßnahmen gegen Gewalt unter Jugendlichen zu erweitern. In den Bereichen Sport und Jugendkultur solle Toleranz und gegenseitiges Verständnis eingeübt werden. Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) forderte gestern erneut ein „schärferes Vorgehen gegen Rechtsextremisten“, sprach sich jedoch auch für konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensumstände von Jugendlichen aus. cor