Milliarden, hochaufgelöst

■ Veraltetes Euro-HDTV saugt weiter kräftig aus dem Finanztopf der Gemeinschaft

So ist das mit den Prioritäten: „Jahrelang hat sich der Ausschuß für die Schaffung eines Europäischen Umweltfonds eingesetzt, und nun gibt es in diesem Jahr endlich das Programm ,Life‘ mit einem Budget von ungefähr 30 Millionen Ecu. Aber die hierfür vorgesehenen Gemeinschaftsmittel schrumpfen zu einem unbedeutenden Beitrag zusammen, vergleicht man sie mit den Beträgen, die die Gemeinschaft offensichtlich bereit ist, für eine marginale Verbesserung der Bildqualität von Fernsehgeräten auszugeben. Diese Situation ist lächerlich.“

So las es sich im vergangenen Jahr in einer offiziellen Stellungnahme des Umwelt- und Verbraucherausschusses des Europäischen Parlaments. Hintergrund war der Plan der EG-Kommission, europäischen Fernsehveranstaltern, Kabelnetzbetreibern und Filmproduzenten Subventionen in Milliardenhöhe zur Verfügung zu stellen, um damit endlich den Marktdurchbruch für das neue hochauflösende Fernsehübertragungssystem D2- MAC zu erzwingen.

Am Donnerstag und Freitag dieser Woche berieten nun das Europa-Parlament und die Postminister der EG über die Bewilligung von 850 Millionen Ecu, also etwa 1,7 Milliarden DM bis Ende 1996 für die „Einführung neuer Fernsehdienste in Europa“. Mit diesen Geldern sollen vor allen Dingen die zusätzlichen Kosten der Rundfunkanstalten bei der Umstellung auf die neue Technik in den Studios und für die Übertragungseinrichtungen abgegolten werden.

D2-MAC soll nach dem Willen der Eurokraten Vorstufe sein für das zukünftige hochauflösende Fernsehen HDTV, das dann – so zumindest die Pläne der europäischen Fernsehgeräteindustrie – ab etwa 1996 in der verwandten Norm HD-MAC ausgestrahlt werden soll. Industrie und EG versprechen sich von dieser Normsetzung eine Stärkung der europäischen Hersteller gegenüber der japanischen Konkurrenz, die mit einer eigenen HDTV-Entwicklung aufwartet.

Nach Schätzung des Technischen Direktors des ZDF, Albrecht Ziemer, sind bislang in die Entwicklung eines eigenständigen europäischen HDTV-Systems bis zu sechs Milliarden DM an Entwicklungsgeldern geflossen, ein großer Teil davon als Subvention der EG und der Einzelstaaten. Immer stärker zeichnet sich jedoch ab, daß die Technologie zur Zeit ihrer möglichen Markteinführung schon veraltet ist. Durchbrüche in der Digitaltechnologie lassen für Ende des Jahrzehnts eine Revolutionierung der Bildübertragung erwarten. Die amerikanische Fernmeldebehörde FCC schreibt den Unternehmen, die ein HDTV-System für den US-Markt entwickeln wollen, vor, daß die Signalübertragung auf jeden Fall in zukunftssicherer Digitalität erfolgen soll. Interessanterweise mischen auf dem US-Markt an vorderster Front die europäischen Konzerne Philips und Thomson mit einer eigenen Digitalentwicklung mit. Auf dem alten Kontinent jedoch sind aber gerade diese Elektronikriesen die (hinter-) treibenden Kräfte, die die Milliarden der EG für die Einführung ihres veralteten Systems funktionalisieren wollen.

Kurz vor den entscheidenden Beratungen im Parlament und unter den Postministern publizierte das HDTV-Forschungskuratorium „Eureka 95“, in dem Thomson und Philips den Ton angeben, ein neues Strategiepapier. Den technisch eher weniger versierten Politikern wird suggeriert, daß es einer digitalen Entwicklung gar nicht bedarf, weil das europäische System ja schon digital sei. Nur argumentativer Nebel, denn die entscheidende technischen Phase, die Übertragung, läuft analog ab.

Die europäische Industrie bangt um die bisher in das HDTV-System investierten Milliarden und versucht, mit Powerplay die in Rede stehenden Subventionen aus der Gemeinschaftskasse zu retten. Prof. Karl Tetzner, ehemaliger Chefredakteur der Fachzeitschrift Funkschau, vergleicht die Situation inzwischen mit dem technologiepolitischen Fiasko des schnellen Brüters von Kalkar.

Daß es auch anders geht, haben in den vergangenen Monaten die skandinavischen Rundfunkanstalten gezeigt. Unzufrieden mit der Entwicklungspolitik der großen TV-Konzerne, haben unter der Führung des schwedischen Fernsehens 50 Ingenieure in knapp einem Jahr die komplette Hardware für ein eigenständiges digitales HDTV-System mit Namen „Divine“ erarbeitet. Kostenaufwand: nur sechs Millionen DM.

Auf der einschlägigen Messe für Fernsehtechnik im Sommer in Amsterdam verweigerten allerdings die Vertreter der EG-Konzerne den Skandinaviern die Diskussion über den neuen Ansatz. Wo kämen wir denn auch hin, wenn ein paar öffentlich-rechtliche Ingenieure den bald tausend Industrietechnikern den Schneid abkaufen? Jürgen Bischoff