: Flirt mit einem geschundenen Land
Hos Erben haben Vietnam für Touristen geöffnet. Eine Buchbesprechung ■ Von Volker Klinkmüller
Vietnam! Für Krieg, Verwüstung und Repression steht das Land am Mekong. Da sind immer noch diese schrecklichen Bilder von bombenspeienden Flugzeugen, entlaubten Wäldern und entstellten Gesichtern, die sich ins Bewußtsein eingegraben haben. Dauerhafte Impressionen eines Dschungelkriegs, der in Landserstreifen wie „Platoon“ oder „Rambo“ regelmäßig brutale Urständ feiert. Doch Vietnam – das sind auch traumhaft einsame Strände, geheimnisvolle Pagoden und lächelnde Menschen.
Nun haben Onkel Hos Erben das geschundene Land für Touristen geöffnet, und die Verlage sind bemüht, mit der Entwicklung Schritt zu halten. Zuerst kamen einige Traveller-Handbooks auf den Markt, die den Pionieren erste Tips und Informationen boten. Im Gegensatz dazu ist der neue Apa- Guide „Vietnam“ eine interessante Mischung aus Reiseführer, Bildband und Lesebuch. Das Buch bietet sich mit seinen stattlichen 685 Gramm allerdings eher zur Vor- und Nachbereitung einer Vietnamreise an.
Die verwendeten Fotos sind ausnahmslos schön und von bestechender Qualität, wie es sich für einen Apa-Guide gehört: eingefangene Stimmungen, faszinierende Landschaften und immer wieder Menschen – fröhlich, lachend oder verschmitzt schmunzelnd, wie der tropenbehelmte Nordvietnamese auf dem Cover. Von traurigen, erschütternden und häßlichen Motiven dürfte Fotograf Tim Page schließlich auch die Nase voll gehabt haben – war er doch früher als Kriegsberichterstatter zwischen den Reisfeldern unterwegs.
Die üppige Bebilderung belebt auch den ausführlichen historisch- landeskundlichen Abriß des Buches. Recht interessante Schwarzweißfotos, Stiche, Radierungen und Skizzen lockern die Hintergrundinformationen auf, spornen zum Lesen an. Doch auch die Texte sind es wert – haben doch einheimische Gelehrte, wie der Völkerkundler Nguyen Tan Dac, daran mitgewirkt.
Bei den Städtebeschreibungen wurde leider mit praktischen – oder gar speziellen – Tips und atmosphärischen Schilderungen gespart. Besonders schlecht ist Ho Chi Minh City weggekommen. Dabei gibt es im ehemaligen Saigon schöne und interessante Dinge zu erleben. Wo bleibt zum Beispiel der Hinweis auf das wöchentliche Weekend-Fever, während dessen Saigons Jugend herausgeputzt und in endlosen Moped- und Fahrradkolonnen durch die Innenstadt pulsiert. Auch die beiden Seiten (eine im Info-Teil) über einheimische Spezialitäten sind etwas knapp bemessen. Zum einen gehört die vietnamesische Küche zu den besten der Welt, zum anderen darf ja wohl das vietnamesische Sprichwort „Im Essen wie im Tod finden wir uns als Brüder wieder!“ nicht außer acht gelassen werden.
Geradezu unentbehrlich ist der einfühlsame Bericht über die Erlebnisfahrt mit dem „Wiedervereinigungs-Expreß“, der von Saigon nach Hanoi bis zu 58 Stunden braucht. Treffend beschrieben ist diese größte Touristen-Strapaze in Vietnam, die allerdings mit den großartigsten Eindrücken entschädigt. Das anschließende Kapitel über „Namastalgia“ – das Erbe des Vietnamkrieges – gehört zweifellos zu den Highlights des neuen Apa-Guide. Auf sechs Seiten wird die jüngste Vergangenheit aufgearbeitet, ohne deren Kenntnis Land und Menschen überhaupt nicht zu begreifen sind. Von den Kriegs-Mischlingen „Amerasians“ und Vergiftungen durch „Agent orange“ ist dort die Rede, von Waisenhäusern, Kriegsmuseen und Hubschrauber-Friedhöfen. Vielleicht wäre es sinnvoll, dieses letzte Kapitel des Apa-Guides zuerst zu lesen.
Apa-Guide „Vietnam“, RV Reise- und Verkehrsverlag GmbH, 44,80 DM, ISBN 3-575-21416-6, 1992
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