Der Mann der tausend Asse

Zum Schrecken von Jim Courier zeigt Goran Ivanisevic beim ATP-Finale, daß er mehr kann als aufschlagen und siegt 6:3, 6:3  ■ Aus Frankfurt Michaela Schießl

Goran Ivanisevic ist es leid. Seine braunen Augen blitzen vor Wut, das Kinn ist energisch vorgeschoben: „Alle beschweren sich über mich, weil ich hart aufschlage und sagen, meine Power macht das Tennis kaputt. Über die Power von Courier redet kein Mensch. Okay, ich schlage mehr Asse als Sampras oder Krajicek, aber mein Aufschlag ist nicht schneller als ihrer. Wir spielen insgesamt viel schneller, weil wir kräftiger und athletischer sind, vor allem aber wegen des Materials. In zehn Jahren wird das Tennis noch viel schneller sein, wegen der großen Schläger.“

Der 1,93 Meter große Kroate, der in diesem Jahr die 1.000-Asse- Grenze durchbrechen will (vor Frankfurt hatte er bereits 909), kämpft verzweifelt gegen sein Image als Haudrauf der Tennisszene. „Bei den French Open auf Sand war ich der einzige, der Jim Courier einen Satz abnehmen konnte, also kann ich von der Grundlinie spielen. Ich will hier nur zeigen, daß ich ein guter Tennisspieler bin.“

Eine Tatsache, der sich beim ATP-Finale in der Frankfurter Festhalle auch der Weltranglisten- Erste Jim Courier nicht länger entziehen konnte. „Ich muß sagen, er hat sehr gut gespielt“, preßte der rothaarige Grundlinienspezialist zwischen Brötchen und Coca-Cola trotzig hervor. „Er hat sich ziemlich verbessert.“ Doch der Versuch der Nummer eins, seine klare 3:6, 3:6-Niederlage gelassen wie ein Champion hinzunehmen, mißlang. Die Tatsache, daß Ivanisevic ihn vor allem von hinten besiegt hatte, wurmte ihn sehr. Befragt nach dem Grund seiner schlechten Vorstellung wurde er prompt grantig: „Wahrscheinlich bin ich nicht froh darüber, in Frankfurt zu sein. Ich würde jetzt lieber in Kiew spielen, aber leider ist der Vertrag nicht unterzeichnet. Ihr stellt mir jeden Tag die abgedrehtesten Fragen. Mehr davon, mehr davon!!“

Wie er will: „Trifft es Sie sehr, wenn Sie das Halbfinale nicht erreichen?“ Courier: „Wissen Sie, das hat zwei Seiten. Einerseits will man unbedingt spielen, aber auf der anderen Seite ist der Trostpreis, daß das Jahr zu Ende ist.“ Nein, wirklich ans Herz geht er einem nicht, der Jim Courier. Seine Versuche, rotzig wie John McEnroe zu sein, sind zu brav, für einen Vergleich mit Connors fehlt ihm der Humor, Agassi hat die wildere Frisur. Einzig sein albernes Sandkastenkostüm wirkt halbwegs lustig. Um sein Image als Baseball- Freak zu unterstreichen, tritt er im Originaltrikot eines US-Teams auf. Das ist, als ob Boris Becker im Trikot von Bayern München auflaufen würde. Nicht sehr sympathisch. In der Tat gilt Courier als die unbeliebteste Nummer eins seit langem. Kein Wunder also, daß das Publikum in der Festhalle dem Kroaten Ivanisevic zujubelte, der beileibe mehr kann als aufschlagen.

Aus dem unbeherrscht über den Platz tobenden Wüterich von einst ist ein konzentrierter, aber temperamentvoller Tennisspieler geworden. Dompteur Bob Brett (Ex- Becker-Trainer) hat den Wilden gezähmt, ist man sich einig. Ivanisevic will davon nichts hören: „Bob hat mir zwar geholfen, aber das ist in mir. Ich mußte mir selber helfen, mußte lernen, ruhiger zu werden und vor allem konzentrierter. Also habe ich mir gesagt, du mußt mehr atmen, das Handtuch öfter nehmen.“ Auch konditionell hat der 21jährige dazugelernt. „Wenn ich rumschlappe wie meine Großmutter, reicht das nicht. Es reicht nicht einmal, wenn ich normal gehe.“ Erwachsen geworden ist der Kroate aus Split nicht zuletzt durch den Krieg in seiner Heimat. „Ich kämpfe auf dem Court für mein Land. Meine Erfolge sind nicht nur für mich, sie sind wichtig für mein Volk.“

Im Team mit Brett und Manager Ion Tiriac hat Ivanisevic Demut gelernt. Hielt er sich noch vor zwei Jahren für den Allergrößten, backt er nunmehr kleinere Brötchen. „Bevor ich die Nummer eins werde, muß ich erstmal ein Grand Slam-Turnier gewinnen.“ In Wimbledon war es ihm noch nicht vergönnt: Dort jubelte die Tenniswelt, daß Grundlinienspieler Agassi den Aufschläger im Finale ausbremsen konnte. Doch mittlerweile hat sich Ivanisevic zum Allroundtalent mit enormer Aufschlagstärke entwickelt. Und es machte ihm sichtbar Spaß, Jim Courier zu zeigen, was er alles kann. Er zeigte ihm einen Grundlinienstopp, den unerreichbaren Return, er führte Volleys vor und wie man die Vorhand in die Ecken plaziert. Er zeigte ihm, was er im Kraftraum an Athletik gewonnen hatte. Und wenn das nicht reichte, zog er die Asse raus: Beim Stand von 0:40 führte er vor, wie man unter Druck Asse schlägt. „Das ist nicht so einfach“, befand er hernach zufrieden und urteilte: „Ich habe die Bälle härter geschlagen als er. Heute hatte er keine Chance von hinten. Ich war heute einfach zu gut für Courier.“

Ken-Rosewall-Gruppe: Pete Sampras (USA) - Petr Korda (CSFR) 3:6, 6:3, 6:3; Tabelle: 1. Sampras 6:2/3:0; 2. Edberg 3:2/1:1; 3. Becker 2:2/1:1; 4. Korda 1:6/0:3

Rod-Laver-Gruppe: Richard Krajicek (Niederlande) - Michael Chang (USA) 2:6, 6:3, 7:6 (7:4); Goran Ivanisevic (Kroatien) - Jim Courier (USA) 6:3, 6:3; Tabelle: 1. Ivanisevic 4:0 Sätze/2:0 Siege; 2. Krajicek 3:3/1:1; 3. Courier 2:3/1:1; 4. Chang 1:4/0:2