Sind die Räuber unter uns?

Drei neue Bücher über Organisierte Kriminalität und von unterschiedlicher Qualität  ■ Von Werner Raith

Warum heißt der Präsident des Bundeskriminalamtes Ludwig Zachert und nicht Jürgen Roth oder Marc Frey? Und warum leisten wir uns in BKA und Landeskriminalämtern Tausende von Polizisten und kommen dennoch nicht so recht weiter, wenn es um die „Organisierte Kriminalität“ (OK) geht? Während zwei wackere Journalisten mit schneller Feder in ein oder zwei Jahren rings um den Globus so ziemlich alles auf der ganzen Welt „aufstöbern“ (O- Ton), was im OK-Bereich Rang und Namen, im In- und Ausland Zentralen und anderwärts frugale Ableger hat?

Die Frage drängt sich auf, liest man Roth/Freys „Die Verbrecher- Holding“ und folgt den Autoren kreuz und quer durch die Welt, wo sie überall nachforschen und Aufsehenerregendes mitbrachten — von St.Ingbert bis nach Caracas, von Frankfurt bis nach Venezuela, von Ostberlin nach Washington. Dazu ungezählte und unzählbare Treffen mit ungenannten Geheimdienstlern: von fernöstlichen Syndikaten über sizilianische Clans bis zur Russenmafia und „Berlin als neue Hauptstadt der Organisierten Kriminalität“ — allüberall und bei allen waren die beiden Enthüller zugange.

Viel von dem, ja fast alles, was Roth und Frey an Substanz zusammengetragen haben, konnten sie auch aus schon vorliegenden Veröffentlichungen oder Prozeßprotokollen und Polizeierklärungen entnehmen; das Buch hätte dennoch nichts an der Schrecklichkeit seines Inhaltes eingebüßt. Die Tendenz, dem Leser alles so zu schildern, als hätten es die Autoren ziemlich direkt miterlebt, wirkt im Buch zwar toll, ist jedoch für das Anliegen der beiden — den Kampf gegen die OK — auf längere Sicht hochgefährlich: Man kann gerade in diesem Bereich nämlich so überziehen, daß der erhoffte Effekt ausbleibt. Ein Schicksal, das bereits vor vier Jahren Dagobert Lindlaus Mob widerfuhr.

Dabei ist die Realität schon schlimm genug. Längst werkeln Unterweltgruppen ungeniert auch in Deutschland, der illegale Markt bringt Milliarden jährlich ein; weltweit wird alleine der Umsatz an Drogen auf eine halbe Billion Mark geschätzt. An die 70 Milliarden Mark (nach anderer Hochrechnung 170 Milliarden) haben ausländische Unterweltgruppen, vor allem die sizilianische Mafia und die neapolitanische Camorra, aber auch chinesische und südamerikanische Gruppen bereits im deutschen Osten investiert — zukunftsträchtige Anlagen ihrer riesigen illegalen Einnahmen. Aktienspekulationen und der Kauf großer Mengen an Schatzbriefen, alles mit dem Geld aus Drogen- und Waffenhandel, aus Glücksspiel- und Zuhälterringen finanziert, versetzen einzelne Clans heute in die Lage, Börsengewitter herbeizuführen und so jede Regierung in beträchtliche Bedrängnis zu bringen. Kaum ein Bereich des öffentlichen Lebens und des Warenverkehrs, wo sich nicht dunkle Geschäftemacher einmischen.

Zum selben Zeitpunkt wie Roth/Frey brachten auch die Spiegel-Autoren Hans Leyendecker, Richard Rickelmann und Georg Bönisch ihr Buch „Mafia im Staat“ heraus, mit dem Untertitel „Deutschland fällt unter die Räuber“. Die Autoren, erprobt bereits in zahlreichen Enthüllungsstories, suchen dabei weniger ihren eigenen Ruf als unerschrockene Rechercheure zu pflegen, sondern bieten viele handfeste und teilweise erschütternde Fakten an. Und das nicht nur über Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität selbst, als vielmehr über den Totalverfall politischer Kultur, der dem Dunkelmännertum immer weiter die Tür öffnet, bis am Ende auch in Deutschland palermische Verhältnisse herrschen.

Leider fallen auch Leyendecker und Kollegen einer journalistischen Eigenart anheim: offenbar aufgrund jahrelanger Spiegel-Praxis muß alles, was sie aufgreifen, gleich eine Art Weltrekord sein. Nachdem sich ihr Magazin jahrelang vor dem Thema gedrückt hat, wird nun gleich alles ganz oben angesiedelt. So wirbt der Verlag etwa mit dem spektakulären Hinweis, das „Vermächtnis“ des ermordeten Mafiajägers Giovanni Falcone werde „enthüllt“: tatsächlich reproduziert das Buch eine vor nun schon mehr als zwei Jahren beim BKA gehaltene und längst veröffentlichte Rede, die seinerzeit alle Hörer ziemlich mittelmäßig und wenig aufklärend fanden. Auch die auf dem Buchrücken herausgestellte Frage „Wer steckt hinter dem Mord an Borsellino“, im Inneren unter dem Titel „Die pista tedesca“ in etwa die Reproduktion des Spiegel-Titels vom August 1992, ist nicht viel mehr als ein groß aufgeblasener Versuch, der Mafia nicht nur das zweifellos vorhandene Standbein in Deutschland nachzuweisen, sondern gleich noch eine Art Führungszentrale dazuzudichten und so ziemlich alles, was in Italien geschieht, nun von hier gesteuert zu sehen. Sicher: die Killer des Richters Livantino wurden in Deutschland gefaßt, wo sie wohl „geparkt“ waren. Doch die „pista tedesca“ im Fall Falcone und Borsellino erwies sich schon während der Publikation des mit „Die Killer kommen aus Deutschland“ versehenen Spiegel-Titels im August 1992 als Sackgasse.

Dabei ist, wie gesagt, die Recherche von Leyendecker und Mitautoren — zieht man eine Reihe offenbar duch inkompetente Zulieferungen aus dem Ausland zustandegekommenen Unsauberkeiten und Fehler ab — wirklich ein hervorragendes Stück Aufdeckungsarbeit. Vor allem geht das Buch auch jenen Teil der OK an, den die Politiker in ihrem famosen „Org KG“ — dem „Gesetz gegen den illegalen Drogenhandel und andere Formen der Organisierten Kriminalität“ bewußt aussparten, weil es sie selbst und ihre Freunde treffen könnte: die Wirtschaftskriminalität und die Kungelei zwischen Politikern und Dunkelmännern und schwerreichen Syndikaten. Hier, vor allem hier, wird deutlich, wer die „Räuber“ sind, unter die Deutschland fällt.

Dennoch würde ich allem, was bisher über das Thema veröffentlicht wurde, ein anderes, ganz neues Buch vorziehen: Konrad Freiberg und Berndt Georg Thamm (unter Mitarbeit des Hamburger LKA-Chefs Wolfgang Sielaff): „Das Mafia-Syndrom“. Freiberg, Krimialhauptkommissar und GdP-Vorstandsmitglied, und Thamm, Fachjournalist, legen in trockenen, niemals effektheischenden Faktensammlungen und eingestreuten Abdrucken aus Presse- und anderen Publikationen dar, wo und wie sich welche Gruppen heute als organisierte kriminelle Vereinigungen tummeln, welche Umsätze und Methoden sie dabei zeigen, welche Geschichte sie hinter sich haben und wodurch ihre Erfolge bedingt sind. Bei den Methoden, die zum Kampf gegen die OK vorgeschlagen werden, wird auch die daran mögliche Kritik nicht verschwiegen. Die wenigen — terminologischen und historischen — Fehler sind dabei zu verschmerzen. Ein Handbuch also, ein Nachschlagewerk, das aber durchaus flüssig und spannend zu lesen oder auch kapitelweise zu nutzen ist.

Roth/Frey: „Die Verbrecher-Holding“. Piper-Verlag, 38DM

Leyendecker/Rickelmann/Bönisch: „Mafia im Staat“. Steidl- Verlag, 24DM

Freiberg/Thamm: „Das Mafia- Syndrom“. Verlag deutsche Polizeiliteratur, 39,80 DM