Die Ohnmacht der UNO in Kambodscha

Die Zunahme von Kriminalität und Korruption und die angebliche Bevorzugung von Vietnamesen sorgen für ein schlechtes Image/ Bislang wurden nur 55.000 Soldaten entwaffnet/ Die Wahlvorbereitungen gehen weiter  ■ Aus Phnom Penh Jutta Lietsch

Der Soldat tritt neben die Fahrertür des Kleintransporters, fängt die zusammengerollten Scheine auf und winkt den Wagen lässig durch. Ein paar Schritte nebenan lehnt ein dickerer und offensichtlich ranghöherer Kamerad an seinem Dienstauto und zählt ein dickes Geldbündel. Noch zwei Kontrollen, dann ist die Brücke zum kleinen Ort Poipet erreicht. Hier beginnt Kambodscha.

Der kleine Grenzverkehr läuft prima, die Straßen auf thailändischer Seite sind gut ausgebaut, und die Fußgänger, Fahrrad- und Motorradfahrer drücken sich nur ungern zur Seite, wenn die Last- und Personenwagen sich hupend Aufmerksamkeit verschaffen. Am Wochenende ist der Gegenverkehr stärker, die weißen Toyotas und Nissan-Landcruiser mit blauer UN-Flagge oder den Emblemen der Hilfsorganisationen bringen UNO-Blauhelme und Mitarbeiter der Organisationen in die thailändische Stadt Aranyaprathet jenseits der Grenze. Dort gibt es immerhin seit kurzem ein Hotel mit Swimmingpool, wunderbares Eis, guten Rotwein und andere Annehmlichkeiten.

Auf der kambodschanischen Seite der Brücke liegt der Markt von Poipet, der bekannt ist für die Vielfalt seines Angebotes: Gold, Schmuck und kambodschanische Rubine, Plastikschüsseln, Emaille- und Porzellangeschirr aus China, Stereo- und Videogeräte aus Japan, elektronische Gadgets und Bier aus Singapur, Fischdosen und gestohlene Autos aus Thailand, Waffen aller Art, gefälschte und echte Papiere aus den Flüchtlingslagern an der Grenze. An den Straßenrändern kleine Verkaufsstände mit allen erdenklichen Biermarken, mit Zigaretten, Monosodium- Glutamat, Medikamenten, Batterien und Keksen.

Hier beginnt die kambodschanische Nationalstraße Nr. 5, die von der Grenze südlich des großen Sees Tonle Sap bis in die Hauptstadt Phnom Penh führt. Für die Instandsetzung des ersten Abschnittes bis zum Städtchen Sisophon sind thailändische Soldaten zuständig, die allerdings nicht – wie ihre Kollegen der engineering battallions aus China, Frankreich, Japan, Polen und auch Thailand – der UNO-Übergangsverwaltung für Kambodscha (UNTAC) unterstehen, sondern aufgrund eines bilateralen Abkommens mit der Regierung in Phnom Penh verpflichtet wurden. Hinter Sisophon jedoch werden thailändische Blauhelme eingesetzt. Reparatur und Entminung der wichtigsten Straßen und Brücken Kambodschas, die nach der Regenzeit in vielen Gegenden schier unpassierbar geworden sind, beschäftigen über 2.000 der knapp 16.000 UNO-Soldaten aus 31 Ländern.

In den Dörfern entlang der Straße stehen aus Holz, Bambus und Reisstroh- oder Palmblattdächern gebaute und auf Pfählen über dem Wasser oder der feuchten Erde errichtete Häuser. Wenn der Abend kommt, treffen sich die Leute zum Plaudern auf dem trockenem Boden der aufgeschütteten Straße. Lange bleiben sie nicht – des Nachts gehört die Route Banditen, die vorbeifahrende Autos anhalten und „Wegezoll“ kassieren.

Militärische Zwischenfälle

Das Quartier der niederländischen Infanterieeinheit, die sich in Sisophons neben dem Markt und unweit des Bahnhofs eine stacheldraht- und sandsackbewehrte Festung errichtet hat, wirkt wie das Symbol von Hilflosigkeit und Angst einer Okkupationsarmee. Die den Blauhelmen laut Friedensabkommen übertragene wichtigste Aufgabe – die Entwaffung der ungefähr 200.000 Soldaten der vier ehemaligen Bürgerkriegsfraktionen, ihre Festsetzung in kontrollierbaren Lagern und die Überwachung des Waffenstillstands in allen Gebieten des Landes – können sie nicht erfüllen. Zu den Gebieten südwestlich und im Norden Sisophons, die von den Roten Khmer kontrolliert werden, haben sie keinen Zutritt.

Nachdem am 15. November das Ultimatum des UN-Sicherheitsrates abgelaufen ist, das die Roten Khmer aufforderte, sich doch noch an der Entwaffnung und Vorbereitung der Wahlen im Mai zu beteiligen – Ziel und raison d'être des UNO-Einsatzes in Kambodscha – ist die Situation im Lande gespannt. Nur etwa 55.000 Soldaten der beiden kleineren Guerillaarmeen und der Regierungstruppen haben sich demobilisieren lassen. „Und das waren die schwächsten Kämpfer der Armeen, die die ältesten und nutzlosesten Waffen mitbrachten“, heißt es in Phnom Penh. Mehr als die Hälfte der Ex- Soldaten verschwand wieder aus den Lagern, sie erhielten „Ausgang zum Zwecke der Arbeit in der Landwirtschaft“.

Läßt sich aus den in den letzten Wochen häufiger auftretenden militärischen Zwischenfällen, bei denen auch UNO-Helikopter oder Soldaten beschossen wurden, auf die Vorbereitung einer Offensive der Roten Khmer schließen, wie die englischsprachige Zeitung Cambodia Times in Phnom Penh spekulierte? Der oberste Blauhelm in Kambodscha, John Sanderson, verneint das. Allerdings hätten sich die Truppen der Regierung Hun Sens und der Roten Khmer während der letzten Monate konsolidiert, räumt er ein, und jede der beiden Seiten sei daran interessiert, von einer unmittelbaren Bedrohung durch die andere zu sprechen.

Stärker als Sanderson verbreitet der Chef der Wahlbetreuer der UNTAC Optimismus. Reginald Austin, Rechtsprofessor aus Zimbabwe, der schon an den Wahl- und Verfassungsvorbereitungen in seinem eigenen Land und in Namibia beteiligt war, sagt: „Nachdem wir im Oktober mit der WählerInnenregistrierung begonnen haben, sahen wir, wie stark die Bevölkerung die Wahlen wirklich will.“ Die Bedingungen für die Wahlen, wie sie im Friedensabkommen vorgesehen waren, seien geradezu unrealistisch ideal formuliert worden. Auch in anderen Ländern gäbe es bewaffnete Kräfte. Austin ist immer noch zuversichtlich, daß die UNTAC sichere und freie Wahlen abhalten kann – außer in den von den Roten Khmer militärisch kontrollierten Gebieten.

Fast jeder hält die Hand auf

Andere Beobachter sind da nicht so sicher. Sie verweisen auf Berichte, nach denen Parteikader und Polizei der Regierung Hun Sen zunehmend aggressiv reagieren. Bislang haben sich dreizehn Parteien registrieren lassen. Einschüchterung von WählerInnen, Bedrohungen und sogar Morde an Vertretern oppositioneller Parteien nehmen zu. „Wer nicht auf gradem Wege bleibt, hat unser Abteilungsleiter vor kurzem in einer Versammlung gesagt, der kann leicht einen Unfall haben“, erzählt eine Krankenhausangestellte in Phnom Penh. „Es ist absurd, früher hatte ich politische Probleme wegen meiner kapitalistischen Herkunft, mein Vater war Unternehmer. Und jetzt plötzlich bedrängen sie mich, in die Partei einzutreten. Ständig läuft der mit den Aufnahmeanträgen hinter mir her.“ Sie sei keine Heldin. Bis jetzt habe sie sich immer damit herausgeredet, daß sie zu beschäftigt sei, die Papiere auszufüllen. Und als Frau könne sie ja immer noch sagen, daß sie auch zu Hause keine Zeit habe, weil sie den Haushalt machen müsse. „Aber ich weiß nicht, wie lange ich damit durchkomme. Dann trete ich eben ein. Und dann kommen sie noch damit, daß sie uns schließlich vor Pol Pot gerettet haben. Ich kann das nicht mehr hören.“

Es ist zum einen die anti-vietnamesische Propaganda der Roten Khmer, die alle wichtigen Oppositionsgruppen übernommen haben, welche die verbreitete regierungsfeindliche Stimmung im Lande nährt. Die Behauptung, die Regierung hole Vietnamesen ins Land, verschaffe ihnen kambodschanische Identitätskarten und Arbeitsplätze oder bezahle sie, um später die Regierungspartei zu wählen, ist eines der meistgehörten Argumente in Gesprächen mit KambodschanerInnen über die zukünftigen Wahlen. Vor allem aber schafft die unverhüllte Korruption auf allen Ebenen der Verwaltung bis in die Regierungsspitze hinein heftigen Unmut über die Regierung. „Die stecken alles Geld in die eigene Tasche“, sagt eine Staatsangestellte erbost. „Als ich mal was darüber gesagt habe, daß einige Minister sich die Villen unter den Nagel gerissen haben und im Monat für Tausende von Dollar vermieten, da haben sie mir doch tatsächlich geantwortet, mit den Einkünften bezahlten sie unsere Gehälter, weil der Staat so arm sei!“

„Die UNTAC ist gut“, bekundet ein junger Kambodschaner in Phnom Penh, der sich mit kleinen Geschäften und seinem Motorrad- Taxi über Wasser hält, „bist Du bei der UNTAC?“ Auf die Verneinung seiner Frage fährt er im gleichen Tonfall fort: „Die UNTAC hat viele Mädchen in den Hotels.“ Er zeigt auf die Reihe der parkenden UNO-Landcruiser und Pickups vor einem Hotel in einer der belebtesten Straßen Phnom Penhs: „Jeden Abend Dancing. Sie bringen Aids. Alles wird teurer. Sie machen mit der Regierung Geschäfte und lassen die Vietnamesen ins Land kommen.“

„Und nachts ist es auf der Straße gefährlich“, sagt eine 38jährige Kellnerin, „ich muß meine drei Kinder und meine Mutter alleine durchbringen. Ich arbeite von 7 Uhr früh bis 2 Uhr mittags und von 5 bis 9 Uhr abends, jeden Tag. Bis vor einigen Monaten habe ich eine Stunde länger gearbeitet, aber es ist zu unsicher geworden. Ich wohne weit weg. Ich brauche das Geld doch, die Schule für die Kinder ist teuer.“ Sie beugt sich nach vorn und flüstert: „Weißt Du, ohne Geld geben die Lehrer schlechte Noten, und die Kinder werden nicht versetzt.“

Daß ihr Ruf zumindest bei der Bevölkerung von Phnom Penh schlecht ist, wissen die Verantwortlichen der UNTAC spätestens seit Mitte September, als sie das Ergebnis von Umfragen über das Bild der UNTAC in der Öffentlichkeit vorgelegt bekamen. Seit der Ankunft der UNTAC sei die Kriminalität gestiegen, was auf die Entlassung von Gefangenen zurückgeführt wurde. Aus Angst, der Menschenrechtsverletzungen bezichtigt zu werden, wage es die Polizei nicht mehr, Straftäter hart anzufassen. Die demobilisierten Regierungssoldaten stünden nicht unter Kontrolle der Blauhelme, sondern machten Dörfer und die Stadt mit Raub und Diebstahl unsicher. Die UNTAC schreite nicht gegen die offensichtliche Korruption der Regierung und ihrer Angestellten ein, sondern leugne sie sogar. Und sie mache mit der Regierung gemeinsame Sache und hole die Vietnamesen ins Land.

Natürlich wisse er, daß die Kriminalität in Phnom Penh zugenommen habe, sagt Brigadegeneral Klaas Roos, der seit Mitte März als Chef der gut 3.200 UNTAC-Zivilpolizisten aus 31 Ländern in Kambodscha fungiert. Doch es sei nicht die Aufgabe der 180 Zivilpolizisten, die in der Hauptstadt eingesetzt seien, die Polizeiaufgaben der kambodschanischen Kollegen zu übernehmen. Die Tätigkeit bestehe vielmehr darin, diese zu überwachen und dafür zu sorgen, daß die örtliche Polizei effektiv arbeite und wenigstens minimale Standards hinsichtlich der Menschenrechte einhalte. Seit Beginn der WählerInnenregistrierung Anfang Oktober seien zudem zwei Drittel seiner Leute in Phnom Penh zum Schutz der Wahlvorbereitungen abgestellt worden.

Was der freundliche Niederländer nicht erwähnt, erzählt einer seiner Kollegen, der in der Provinz stationiert ist: Rund ein Drittel der UNO-Polizisten in seiner Region sprechen weder Englisch noch Französisch, können sich also auch mit ihren UNTAC-Kollegen nur mittels Zeichensprache verständigen. Das entspricht zwar nicht den Einstellungsbedingungen, „aber wenn sie einmal da sind, können sie nicht zurückgeschickt werden. Das ist eben die UNO.“ So sind sie nur als Symbol der UNO-Präsenz von Nutzen: unbewaffnet, sprachlos und eben vorhanden.

„Aber das ist es ja gerade“, meint ein ausländischer Mitarbeiter bei der Menschenrechts-Abteilung der UNTAC, „durch unsere Präsenz haben wir etwas in Gang gesetzt. Hier gab es in den letzten Jahrzehnten eine Aufeinanderfolge von repressiven Regimes. Gewiß ist die Repression durch die gegenwärtige Regierung nicht mit dem Terror unter Pol Pot zu vergleichen. Aber in vielerei Beziehung hat ein Regime auf dem anderen aufgebaut. Es gab keine Opposition, keine Meinungsfreiheit, keine unabhängigen Gerichte, keine Instanz, an die man sich wenden konnte. Und wir haben Hoffnungen geweckt. Leute, die sich zuvor bedeckt gehalten haben, fangen jetzt an zu reden. Wenn die UNTAC jetzt gehen würde, wären diese Menschen sehr gefährdet.“