„Gewerkschaft muß wieder Spaß machen“

■ Ein taz-Gespräch mit der neuen Bremer DGB-Kreisvorsitzenden Helga Ziegert

taz: Frau Ziegert, was ändert sich beim DGB-Kreis Bremen am 1. Januar 1993?

Helga Ziegert:Die Frage habe ich erwartet, aber sie gefällt mir nicht. Sie setzt voraus: Da kommt eine neue Vorsitzende, und die macht's dann. Ich möchte den DGB zu einer Kraft machen, in der die Einzelgewerkschaften mehr zum Tragen kommen. Mir müssen durch eine bessere Koordinierung unserer Kräfte mehr Wirksamkeit erreichen.

Haben Sie dafür ein Beispiel parat?

Na, zum Beispiel bei der Novelle des § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes. Das war eben nicht nur eine Sache der IG Metall, sondern die von verschiedenen Einzelgewerkschaften. Sternenmärsche haben wir aus den Stadtteilen organisiert, das Problem wurde sogar in den Schulen diskutiert. Der DGB tritt zu häufig als eine Institution auf, in der Beschlüsse gefaßt werden und sonst nichts weiter passiert.

Sie als Kreisvorsitzende, das hätten die Delegierten schon vor drei Jahren haben können, als Siegfried Schmidt knapp mit zwei Stimmen Vorsprung gewählt wurde. Was ist passiert, daß Sie jetzt diese überwältigende Mehrheit bekommen haben?

Die Delegierten hatten sich damals nicht gegen mich, sondern für Siegfried Schmidt entschieden. Ich habe das damals nicht als Niederlage empfunden, sondern es hat mir gezeigt, daß ich einen ziemlich großen Rückhalt hatte.

Gab es nicht doch ernste Bedenken, erstens, weil Sie eine Frau sind, zweitens, weil sie aus der GEW kommen, die eigentlich nicht die klassische ArbeitnehmerIn repräsentiert?

Ich denke, daß wir es uns nicht leisten können, die verschiedenen Klientel gegeneinander auszuspielen. Wir haben eine Vielfalt von Mitgliedergruppen mit ganz unterschiedlichen Interessen, Problemen und Bedürfnissen. Unsere Aufgabe ist es ja gerade, diese Interssen zusammenzubringen. Ich halte noch sehr viel von dem Satz: Solidarität ist unsere Stärke.

Ist das eher Flöhe hüten oder eine Herde Schafe?

Es ist nicht Streitsucht, was die Gewerkschaften uneinig macht, sondern es gibt in dieser Gesellschaft eben eine Vielzahl von Vorstellungen, wie Probleme gelöst werden können. Man lügt sich doch in die Tasche, wenn man voraussetzt, daß alle Gruppen von Beschäftigten dasselbe Interesse haben. Die Arbeitnehmerschaft ist heute sehr differenziert, und die entsprechenden Gegensätze müssen offen ausdiskutiert werden. Wir haben den Fehler gemacht, eine gewerkschaftliche Einheit zu postulieren und die Differenzen unter dem Deckel zu halten. Unter diesen unterschiedlichen Interessen dann aber doch noch zu einem gemeinsamen, solidarischen Handeln zu kommen, das finde ich eine spannende Aufgabe.

Die großen Aufgaben, die Ihnen bevorstehen, verbergen sich hinter den Stichworten Klöckner und Daimler-Benz....

Wenn gewerkschaftliche Solidarität überhaupt noch einen Sinn haben soll, dann ist sie hier gefragt. Nicht nur im Sinne von Resolutionen, sondern in dem Sinne, daß es durch das Handeln der Kolleginnen und Kollegen deutlich wird. Zum Beispiel muß die Demonstration am 1. Dezember diese Solidarität wirklich zeigen: Daß die Masse der Bevölkerung hier hinter der Belegschaft von Klöckner steht. Wir haben zum Beispiel in der Gesamtschule West neulich den Unterricht zu der Kundgebung vor Klöckner verlegt, und solche Aktionen muß es mehr geben.

Fühlen Sie sich unter Druck, daß sie sozusagen eine einjährige Prbezeit haben?

Ja, das ist natürlich schon eine gewisse Belastung. Ich rechne aber nicht damit, daß ich im nächsten Jahr vor die Delegierten trete und sage: Leute, ich habe nichts erreicht. Ich glaube, ich kann hier Dinge in die Wege leiten, die langfristig tragen.

Der 1. Mai macht jedes Jahr deutlich, daß die Bindungen der Gewerkschaft zu den Arbeitnehmern nachläßt. Wie stellen Sie sich künftig den 1. Mai in Bremen vor?

Ich bin da in der Tradition des Maifeiertages, ganz klar. So ein Maifeiertag, da hänge ich dran, aber es darf kein leeres Ritual werden. Wir brauchen sicher so etwas wie eine neue Gewerkschaftskultur, sonst geht der Feiertag daran zu grunde, daß keiner mehr kommt. ...

Warum bleiben denn die Leute zu Hause?

Es ist so eine Art Service-Denken gegenüber den Gewerkschaften. Man erwartet schon, daß sie dafür sorgen, daß die Rahmenbedingungen stimmen. Auch die, die nicht in der Gewerkschaft sind, legen sehr viel Wert auf Tariflohn und geregelte Arbeitszeit und dergleichen. In gewisser Weise ist das auch berechtigt. Viele, die gewerkschaftlich was machen wollen, werden aber auch abgeschreckt, zum Beispiel durch bestimmte ritualisierte Veranstaltungen. Es heißt nicht umsonst: Bei den Gewerkschaften wird man gleich Funktionär oder man kann gar nichts machen. Wir müssen Möglichkeiten schaffen, daß die Leute in den Gewerkschaften mehr ihre Schwerpunkte wahrnehmen können. Gewerkschaftsarbeit muß wieder Spaß machen.

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