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Nachschlag

■ Leben im Designersarg

Den Kopf ein wenig zur Seite geneigt, die Finger der rechten Hand zart an die denkende Stirn geführt, blickt eine Frau einen älteren, graumelierten Herrn an, dessen Bild unscharf bleibt. Die rechte Schulter der Frau ist bis zum Brustansatz frei, ihr Hemd ist ihr scheinbar unbeabsichtigt von der Schulter gerutscht. Der Blick des Betrachters folgt der Linie ihres Ausschnitts bis zu der Textzeile unter dem Schwarzweißfoto: Über den Tod haben wir nie gesprochen, bis wir es mußten. Grieneisen.

Die Werbeagentur der Firma Julius Grieneisen, Erd- und Feuerbestattungen, scheint so verliebt in das Foto der lustigen Witwe, die aussieht, als wolle sie im nächsten Moment den Bestatter flachlegen, daß man das Bild gleich dreimal in einer Werbebroschüre im Zeitungsformat abgedruckt hat. Grieneisen – das Tabubrecher-Beerdigungsinstitut? Diesem neuen Image verpflichtet veranstaltete Grieneisen am Wochenende eine Sargausstellung in der Reinickendorfer Galerie Remise. Designersärge und Totenkisten im Baukastensystem waren annonciert. Daß es Grieneisen weniger um „Tabubruch“ als um Firmenwerbung im enger werdenden Berliner Markt der Totengräber geht, verrät ein Mitarbeiter auf die Frage, warum die Ausstellung nur zwei Tage geöffnet sei: „Wir wollen hier nicht die Massen anziehen, sondern die Medien.“

Immerhin dürften die Nachbarn ihren Spaß gehabt haben an den Särgen, die im Hof der Residenzstraße 58 aufgebahrt waren. Besonders gemütlich und fast schon einladend bei dem Schmuddelwetter, wirkte der „Sarg für Dr. Boehlke“. Außen azurblau, in der Mitte eine zarte Goldkante, nüchterne Form ohne Schnörkel und Messingbeschläge. Laut Ausstellungskatalog ist Dr. Boehlkes Sarg innen ockerfarben. Der Kasseler Geschäftsführer der „Arbeitsgemeinschaft Friedhofs- und Denkmalkultur“ Boehlke kann in Ruhe in seinem Sarg probeliegen, ohne daß der Deckel gleich über ihm zugenagelt wird. Laut Grieneisen-Vertreter Peter Tiedt erfreut sich der Sargbesitzer „bester Gesundheit“.

Neben Dr. Boehlkes zukünftiger Behausung steht eine Sargkreation der Berlinerin Dorothee Poppenberg unter dem Titel „Der Sarg als Wohnmöbel?“ Ebenfalls auf dem Hof ausgestellt ist das Baukasten-Sargsystem der Firma Joseph Uphoff, die seit 1916 in Wesel Särge fabriziert. Die „Rainbow“ Särge lassen sich nach individuellen Vorstellungen gestalten: Rahmen, Füllung und Farbe sind frei wählbar. Jeder Sarg ein Unikat. Keiner muß mehr tot im Tropenholz liegen. Auch Herr Schönhoff, der Verkäufer der Baukästen, versteht sich selbstredend als Tabubrecher. Früher sei es so gewesen, erzählt er, daß der Tischler sich zu Lebzeiten den eigenen Sarg gezimmert habe, um nicht in einer unsauber genagelten Lehrlingskiste den Weg alles Irdischen zu gehen. Heute werden Särge nicht mehr beim Schreiner, sondern in der Sargfabrik hergestellt. Billigimporte aus dem Osten verderben die Preise.

Zum individuellen Leben nun also auch der individuelle Sarg. Die Diplomdesigner Kurt Becker und Daniel Ludig aus Bad Homburg entwarfen als Abschlußarbeit ihres Studiums Särge und ein komplettes Bestattungskonzept. Das Sarg-Krematoriums-Set als integriertes System aus Sarg und Urne. Die schwarz- weiße Plastikurne der beiden Designer erinnert eher an einen futuristischen Aschenbecher mit Papierkorb denn an „Sektkühler oder Blumenvasen“ (Ludig). Der zu verbrennende Sarg ist schlicht hellblau gebeizt, hinterläßt bei der Einäscherung kein Gift und ist darüber hinaus preisgünstiger als die herkömmlichen Schnörkelsärge à la Gelsenkirchener Barock.

Das Design bestimmt das Bewußtsein, jetzt auch nach dem Tod. Andreas Becker

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