■ Scheibengericht
: Clarence Carter "Snatching it Back"

(Rhino/East West TIS)

Er sei hier nun vor uns getreten, spricht Clarence Carter, um mit uns über zwei Wörter zu reden, die von den Leuten immer und immer wieder benutzt würden: „Making Love“. (Die Hammondorgel wimmert sanft, das High Hat des Drummers markiert leise zischend den Offbeat, Streicher spannen einen Schleier, nur die Bläser schweigen noch.) „Yeah“, wiederholt Clarence Carter, „Making Love“, mit besonderem Nachdruck auf jedem der beiden Wörter. Alles was Leben in sich spürt, täte das gern. Die Kühe tun es, Moskitos tun es, Pferde tun es, und Menschen tun es auch. Es gebe da aber einen signifikanten Unterschied: Den Tieren sei es egal, wo sie es tun. Die Menschen dagegen suchen sich immer einen Ort. Die Reichen mieten sich zum Beispiel ein Flugzeug und tun es dort, wer weniger Mittel zur Verfügung hat, leiht sich ein Boot und rudert auf den See hinaus, den ganz Armen bleibt nur die Rücksitzbank ihres schäbigen alten Autos.

An dieser Stelle aber, so Clarence Carter, sei auf ein weiteres Problem hinzuweisen. (Die Hammondorgel wimmert inzwischen lauter, die Gitarre umspielt den ostinaten Baß mit kleinen, kommentierenden Verzierungen, längst markiert der Drummer den Offbeat mit einem sonoren Klacken auf dem Rand seiner kleinen Trommel, unmerklich sind Bläser hinzugetreten. Es steigt gewissermaßen die Hitze im Versammlungssaal, beleibtere Gemeindemitglieder mögen sich mit einem blütenweißen, frischgestärkten Leinentaschentuch über die Stirn wischen.) Das Problem sei: Die Leute „flippen gern herum“ (like to slip around), werden untreu. Dies gelte für Männer, die ihre ahnungslosen Ehefrauen hintergehen, es gelte aber auch für manche Frauen. Soziale Unterschiede spielten hier übrigens keine Rolle mehr. „They all like to slip around“, und er, Clarence Carter, könne hierfür nun einen ganz besonderen Ort empfehlen: „At the dark end of the street/That's where we always meet.“ Das gesamte Orchester jault auf, die Saxophone delirieren, das Schlagzeug ist entfesselt, die Gitarrenkommentare sind verzweifelt zu nennen. Vier Minuten lang hat Clarence Carter gepredigt, nun erst singt er, mit einem tiefbaritonalen apokalyptischen Tremolo und beschwört seine Lust und seine Angst vor Entdeckung. Kurz nach dieser Klimax wird das ungeheure Stück ausgeblendet.

Es ist von 1968. Clarence Carter war einer der Stars des Atlantic- Soullabels. Der Rest dieser „Best of“-Platte besteht aus teilweise sehr schönen Rhythm'n'Blues- und Soulnummern, aber allein „At the Dark End of the Street“ überschreitet die Grenzen des Genres und definiert es damit neu. Das Stück, so schreibt Dave Marsh im lesenswerten Einführungstext zur Platte, sei als „eines der großen Mysterien“ in der Geschichte von Rock und Soul zu betrachten. Der Soul kommt darin zu sich selbst: als Anwendung geistlicher Musik aus der Gospeltradition auf den Sex. Schockierend allerdings, wenn diese Definition des Soul so wörtlich genommen wird wie hier.

Die Platte gehört in eine Reihe von „Best of“-Samplern des Atlantic-Labels, die jetzt bei Rhino (im Vertrieb von East West TIS) veröffentlicht wird: Aretha Franklin, Percy Sledge, Wilson Pickett, Solomon Burke. Alle Platten sind mit ausführlichen Kommentaren versehen. Wir werden berichten.