Sanssouci
: Nachschlag

■ „Totgeschlagen – totgeschwiegen“

Ein schlichtes weißes Schild steht auf dem Weg durch den kleinen Park, der vom Eingang zum eigentlichen Tor des KZ Sachsenhausen führt. Dem „lieben Besucher“ wird darauf mitgeteilt, daß die Gedenkstätte noch zu kommunistischen Zeiten eingerichtet wurde. Dementsprechend sei den Opfern aus dem Widerstand überproportional viel Platz eingeräumt. Bei der anstehenden Neuorganisation würden die ermordeten Juden, Sinti und Roma und „sonstigen Opfergruppen“ stärker gewürdigt, verspricht das Hinweisschild. Unter „sonstiges“ in der perfiden Opferhierarchie sind die Schwulen verbucht. Mindestens 600 Rosa- Winkel-Häftlinge wurden allein zwischen 1940 und 1942 in Sachsenhausen umgebracht. Genaue Zahlen gibt es bis heute nicht.

„Totgeschlagen – totgeschwiegen“ steht auf der Gedenktafel für die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus, die an diesem fahlgrauen Totensonntag enthüllt wird. Ganz hinten im ummauerten Hof des „Zellenbaus“ klebt das schwarze Metallschild an der Wand. Die „Sonstigen“ müssen froh sein, wenn sie überhaupt ein Gedenkplätzchen kriegen. Auch für die Auslagen muß man selbst aufkommen. Der „Gesprächskreis Homosexualität“ der Adventsgemeinde hat die Kosten ausgelegt, die durch Spenden wieder hereingebracht werden sollen.

Immerhin rund zweihundert Menschen fanden den Weg in die winterliche Kälte. In den Reden wird der Bogen zur heutigen Situation geschlagen. „Wer jetzt wegsieht, kann sich später nicht entschuldigen“, sagt der Vertreter der Adventsgemeinde. Auch die FDP-Vorsitzende Carola von Braun ist per Grußwort präsent. Die Worthülsen der Betroffenheit klingen – stockend verlesen – an diesem Ort des Schreckens noch schaler als am Rednerpult im Bundestag. „Da kriegst du doch das Kotzen“, kommentiert eine Frau und geht. Einer – der einzige mit geschminkten Lippen, aber ohne Fummel – sagt nur einen Satz, nachdem er seine Blumen niedergelegt hat: „Vorwärts und nicht vergessen“. Das reicht.

Mitglieder der beiden schwulen Männerchöre Berlins, der Rosa Cavaliere und der Männerminne, singen. Die Moorsoldaten werden immer schräger, Celans Todesfuge murmelt dazu. Die fesche Lola schleicht sich zwischen den Tod, der ein Meister aus Deutschland ist. Die Improvisation bringt all das zusammen, was Worte hier draußen nicht vermögen: Trauer, Angst, Wut und Mut. Viele haben Blumen mitgebracht. Kränze der FDP und der PDS liegen vor der Mauer. Die restlichen Parteien schweigen auch hier.

Am anschließenden „gottesdienstlichen Gedenken“, zu dem Adventsgemeinde und HuK laden, haben die wenigsten Interesse. Nur fünfunddreißig finden sich im Andachtsraum der Gedenkstätte ein. Die Mehrzahl nutzt die Gelegenheit zu einem Rundgang: Von der neuen Gedenktafel nur durch den Zellenbau getrennt, steht die Baracke, die vor einigen Wochen durch Neonazis angesteckt wurde. Verkohlte Bretter ragen in die Luft. In den noch intakten Räumen hat sich beißender Brandgeruch festgenistet. Die Strohsäcke auf den Häftlingspritschen sind dick mit Ruß bedeckt. Was der Redenschreiber der FDP-Chefin wahrscheinlich aus dem Zitatenbuch kramte, wird plötzlich gräßlich spürbar: „Der Schoß ist fruchtbar noch.“ Gerd Hartmann