„Unter Honi wär det nich passiert“

■ Momentaufnahme von der Mahnwache für Silvio M. am U-Bahnhof Samariterstraße

Friedrichshain. Grablichte in roter Plastikhülle brennen vor sich hin zwischen Sträußen aus Rosen, Chrysanthemen und weißen Nelken, die auf dem Betonboden in der U-Bahn-Station Samariterstraße liegen. Das schwarze Styroporkreuz mit der Aufschrift „Silvio“ wird von den Blumen fast ganz verdeckt. Auf die gelben Wandfliesen hat jemand mit lila Farbe gesprüht: „Silvio von Faschisten ermordet“. „Hier war das also, hier ist er erstochen worden“, sagt ein Schuljunge mit gedämpfter Stimme zu seinem Freund. Ein Jugendlicher mit einem „Gegen Nazis“-Aufnäher auf der schwarzen Lederjacke fegt Zigarettenkippen zusammen und wirft sie in eine blaue Mülltüte. Thermoskannen und Kaffeetassen stehen neben Matratzen, auf denen sich junge Männer und Frauen mit ihren Hunden balgen. Einer zupft auf der Gitarre und singt dazu. „Wir haben doch auch Enkelkinder in dem Alter, denen hätte das auch passieren können“, sagt eine alte Frau und wischt sich mit dem Taschentuch über die Augen, „das ist so furchtbar.“ „Also eens kannste glooben: Unter Honi wär det nich passiert, da hätten seine Schergen schon uffjepaßt, daß die Nazis sowat nich machen“, dröhnt ein blonder Mann. Soeben ist wieder eine U-Bahn eingefahren, kurze Zeit später kommen einige Menschen die Treppen hoch. Viele gehen vorbei, ohne aufzuschauen. Eine Frau im lila Anorak mit Pelzkragen bleibt einen Moment stehen, kramt dann ein paar Münzen aus dem braunledernen Damenportemonnaie und legt sie in die Schale, in der für die Bestattungskosten gesammelt wird. „Natürlich ist die Mahnwache nicht offiziell genehmigt“, erklärt einer der Zugabfertiger in der blauen BVG-Uniform. Gewaltsam vertreiben wolle man die jungen Menschen nicht, aber man bemühe sich, den Fall zu klären, denn schließlich „geht es hier um das Hausrecht der BVG“. akk