Zwischen den Rillen
: Die richtige Einstellung zur Maschine

■ Archäologin des guten Geschmacks: Vanessa Paradis und Betty Boo

Pop ist heute am besten, wenn er sich um die eigene Achse dreht und keine neuen Ungereimtheiten dazu erfindet. Eben weil Pop immer alles mögliche Unverbindliche produziert – und keineswegs dessen Gegenteil. Deshalb ist Public Enemy HipHop und Betty Boo Pop, deshalb ist Lenny Kravitz nicht John Lennon, und eine gerade einmal 19jährige Französin kann im Chanel-Kostüm „I'm waiting for the man“ singen, ohne an der Nadel zu hängen. Es ist eine Frage der Darstellung und der Überzeugungskraft.

Vanessa Paradis hat sich für ihre Popwelt eine hübsch melodiöse Vergangenheit ausgesucht, die ihr der Sixties-Simulant Kravitz prächtig in Szene setzt. Eigentlich ist es seine Platte: beatleske Balladen, das besagte Velvet-Underground-Cover, ein bißchen Tamla Motown und etwas „Heiße Hölle Harlem“ – schwarze Kiezkultur, es muß Spaß gemacht haben. Dann huscht etwa ein Song wie „Be my Baby“ schnell und vergänglich vorbei, auch wenn er exakt wie ein eben erst ausgegrabener Supremes-Hit klingt.

Manchmal wird die Archäologie des guten Geschmacks allerdings zur Manie des Wiederholungstäters. In „Your love has got a handle on my mind“ fügt Kravitz schmusige Nach-Mitternachts-Rundfunkstreicher und unscheinbare Jazzfiguren in einer derart mäßigen Präzision zusammen, daß man meint, er wolle zwanghaft das einst unbefangene Knautschlackgefühl kunsthandwerklich veredeln. Zum Glück hat er jedoch Frau Paradis, die in allen Stücken gegen den pedantischen Eklektizismus ansingt. In jedem Lied scheint sie die Sixties wirklich neu zu erfinden, und mit der Zeit glaubt man ihr das sogar, weil sie sich sehr aufrichtig sicheren Schritts durch diesen ganzen Wust der Unmittelbarkeiten und existentialistischen Erfahrungen hindurchinterpretiert, egal ob studentischer Liebesschmerz oder Wir-haben-die-Welt-nur- von-unseren-Kindern-geliehen- Appell in „Silver & Gold“. Das ist die richtige Einstellung zur Maschine. Manchmal bricht sie das Pathos des notorischen Hippietums ganz einfach mit einem über jede Kritik erhabenen Kiekser, zu dem mit diesem augenzwinkernden Esprit wohl nur eine Französin in der Lage ist. Bei Interviews sagt die Paradis ziemlich nonchalant, daß sie auf der Platte wie in einem Film agiert habe. Lenny war Regisseur, Vanessa sein Star. Die Musik spielt eigentlich nur eine Nebenrolle – als Dekoration mit Stil.

Bei Betty Boo scheint die Komplizenschaft von allgemeinerer Natur zu sein. Sie versetzt HipHop-Reime in ein Fünfziger- Jahre-Surf-Ambiente, mischt Bademoden mit Housebeats und schlüpft in alle möglichen feministischen Rollen – Catwoman, Vampira, Emma Peel oder die perfekte Gastgeberin auf einer Barbecue-Party im bürgerlichen Leben. Manchmal nervt die betriebsame Fröhlichkeit, die als stampfendes Ramba-Zamba- und-Rucki-Zucki-Karussell fast schon new wavig das Recht auf Spaß einklagt. Gut dagegen „Catch me“, eine billige Garage- House-Nummer, die das Vergnügen ohne große Jugend- und Jubelrhetorik ganz dienstleistungsmäßig auf der Tanzfläche einschreibt: Nichts als die permanente Wiederholung eines Upteambeats und einer schmierigen Orgelphrase, es bleibt nur eine Bewegung über, der Rest wird bereits beim Hören vergessen.

Statt aber auf die Qualitäten des verführten Gedächtnisses zu bauen und den Schwund zu fördern, will Betty Boo viel zu viel von und aus, nicht aber vor der Geschichte retten. Mit Country- Fiedeln wird gleich für mehrere Songs der Boden bestellt, das „Lady Madonna“-Zitat in „I'm on my way“ bringt diesen flüchtigen Poprap nicht den Beatles näher. Auf Dauer wird Betty Boo wahrscheinlich Schwierigkeiten mit der Beliebigkeit bekommen. Und Vanessa Paradis läuft Gefahr, sich in Grübeleien zu verlieren, und dann womöglich irgendwann doch einmal mit ihrer Velvet- Connection Ernst zu machen. Harald Fricke

Vanessa Paradis: „Vanessa Paradis“ (Polydor).

Betty Boo: „It's Betty Boo“ (WEA).