Immobilie mit Gaskammer

Auf dem „Sonnenstein“ von Pirna war eine der Mordstätten des nazistischen „Euthanasieprogrammes“ Eine Gedenkstätte soll dort entstehen/ Investoren wollen Büros einrichten  ■  Von Detlef Krell

Ausgetretene Sandsteinstufen führen steil hinauf zum Schloß. Auf halber Höhe ist eine Gedenktafel angebracht. Von hier öffnet sich der Blick über die Dächer der Stadt; Pirna, „das Tor zur Sächsischen Schweiz“, die gotische Marienkirche, die Elbe. Schon am Fuße des Berges hatte ein Schild gewarnt: „Vorläufig geschlossen“, gemeint ist die Schloßschänke. Nur noch die Bierwerbung erinnert an fröhliche Einkehr. Vor der Gedenktafel liegt ein Kranz. Auf der Schleife steht „Förderschule Dr. Priebitz für geistig Behinderte“. Der Stein erinnert an „die Opfer faschistischer Verbrechen, verübt in der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt auf dem Territorium Pirna-Sonnenstein 1940–1941“. Kein weiterer Hinweis auf die Opfer und den Ort ihres Todes.

Das „Haus 14“ steht abseits des weitläufigen Schloßparkes, hoch über dem Elbtal. Der Weg dahin ist nicht leicht zu finden, er wird an keiner Stelle erklärt. Von April 1940 bis August 1941 starben in diesem Gebäude 13.720 geistig behinderte Menschen in einer der ersten Gaskammern der Nazidiktatur. Ermordet wurden in den wenigen Monaten auch mindestens 1.000 für geisteskrank erklärte polnische und jüdische Häftlinge aus Konzentrationslagern. Pirna-Sonnenstein war neben Grafeneck, Brandenburg und Bernburg eine der Hauptmordstätten im nazistischen, sogenannten „Euthanasieprogramm“.

Bereits 1811 war auf dem Schloßgelände eine, wie es damals hieß, „Irrenanstalt“ gegründet worden. Hundert Jahre später wurde sie zur Landesheil- und Pflegeanstalt ausgebaut. Nach den Massenmorden richteten die Nazis eine „Erziehungsanstalt“ ein.

Heute steht das Haus 14 der einstigen Heilanstalt leer. Brüchig scheinen die Neorenaissancegiebel; Türen und untere Fensterreihe sind vergittert. Eine unscheinbare Tafel gedenkt des „Genossen Albert Barthel. Im November 1942 von den Faschisten ermordet.“ Kein Wort von den Euthanasiemorden. Die Fenster zum Keller, wo die Gaskammern standen, sind längst ausgebrochen. Gerümpelberge liegen herum. Wahrscheinlich wurde damals die Asche der Ermordeten gleich neben dem Haus vergraben.

Ein großer Teil des Sonnensteins war zu DDR-Zeiten eingezäunt und streng bewacht als Betriebsgelände des VEB Strömungsmaschinenbau. Im Haus 14 lagerten Produktionsdokumente für Überschallflugzeuge und Panzermotoren. Büros und Archive für die Rüstungsproduktion an diesem Ort – der „erste sozialistische Arbeiter-und-Bauern-Staat“ hatte damit keine Probleme.

In der Nachbarschaft ist das Diakonische Werk mit einem sozialen Möbeldienst eingezogen. Ute Harpel, die stellvertretende Leiterin, sieht „fast jeden Tag hier Geschäftsleute herumlaufen, mit Kameras und Unterlagen.“ Kein gutes Gefühl für die junge Frau, die von hier aus die sozial Benachteiligten der Stadt mit Möbeln versorgt. „Wir haben zwar einen Mietvertrag, aber ob der nach einem Verkauf der Gebäude verlängert wird, weiß niemand.“

1990 bekam das Land Sachsen dieses Gelände als sein einstiges Eigentum zurück. Jetzt soll verkauft werden. Eine Münchner Investorengruppe interessiert sich, Planungen für einen Teil der Anlage hat das Münchner Büro Communitas erstellt. Aber Haus 14 sei davon nicht berührt, heißt es im Büro auf Anfrage. Albin Nees, Staatssekretär im Sozialministerium und für den Freistaat Sachsen Mitglied des Kuratoriums für eine Gedenkstätte Sonnenstein e.V., hat „nichts gegen Büros auf diesem Gelände, aber etwas dagegen, daß eine Gedenkstätte verhindert wird“. Befürchtungen dieser Art kamen auf, als Mitte Oktober das Liegenschaftsamt in Dresden ankündigte, das ehemalige Stasi-Gefängnis Bautzen II als Büropark zu vermarkten. Nach lauten Protesten aus Parlament und Bautzen- Komitee beschwichtigte Finanzminister Georg Milbradt, es habe nie solche Pläne gegeben. „Interne Überlegungen“, einen Teil des Gefängnisses umzubauen und darin das Oberlandesgericht unterzubringen, seien aus Kostengründen verworfen worden.

Verhandlungen über den Verkauf der Häuser würden laufen, weiß Albin Nees, noch im Dezember wolle er alle Interessenten am Runden Tisch zusammenrufen. Dort wird dann auch Hartmut Rockel sitzen, Geschäftsführer der Werkstatt für Behinderte, einer Einrichtung der Arbeiterwohlfahrt. Er würde gern umziehen, aus einem großen Gebäude des Sonnenstein-Geländes, das er sich mit der Förderschule für geistig Behinderte teilen muß, ins Haus 14 und Nachbarhäuser. „Wenn die Werkstatt dort reinkommt, das steht fest, dann kommt auch die Gedenkstätte“, erklärt er. 70 geistig behinderte Menschen aus dem Raum Pirna arbeiten in den Werkstätten, einer Weberei, einer Schneiderei, in Schalter- oder Papiermontage, Korbmacherei oder Seilerei.

Auch 22 betreute Wohnheimplätze sind belegt. „Wir könnten bis zu 160 Behinderte aufnehmen“, wenn die Arbeitsbedingungen besser werden. Ein Umzug entspräche bestens der Konzeption seiner Einrichtung, und das meine er nicht nur mit Blick auf die Quadratmeter. „Ich kann mir keine bessere Nutzung für diese Häuser vorstellen. Wir wollen behinderte Menschen vorbildlich betreuen, bewußt an dieser historischen Stätte auch gegen heutige Vorurteile.“ Rückenwind für sein Engagement bekomme er vom Landratsamt und Kuratorium.

Das Sonnenstein-Kuratorium hat Forschungen in Auftrag gegeben, die Licht in die Ereignisse zwischen 1940 und 1941 bringen sollen. Die wenigen Dokumente und Informationen über die Geschichte des Sonnensteins können bisher nur in einer kleinen Kirche auf diesem Gelände ausgestellt werden. Noch vor kurzem war sie als Lagerraum eines Betriebes mißbraucht worden. Die Ausstellung ist ein Anfang, von Öffentlichkeit jedoch kann keine Rede sein. Eine Gedenkstätte für die Opfer der Euthanasieverbrechen in einer funktionierenden Werkstatt für Behinderte, sie könnte über die Geschichtslektion hinaus Tabus brechen, über behinderte Mitmenschen aufklären und für Toleranz werben. Insignien des Hasses, der neuen Möchtegern- Herrenmenschen, schreien laut genug von den Wänden in Pirna.