Zwei Frauen und ein Mädchen verbrannten in der Nacht zum Montag in ihrer Wohnung, sieben Menschen liegen verletzt in einer Klinik. Sie sind türkische Staatsangehörige. Weil sie Nichtdeutsche sind, warfen die Täter Brandflaschen in ihre Wohnungen. Nach der Tat zeigen sich alle Politiker zutiefst entsetzt, der Generalstaatsanwalt ermittelt. Mölln hat knapp 18.000 Einwohner. Eine kleine saubere Stadt in Norddeutschland.

Es brennt! Heil Hitler!

Mölln, ein schleswig-holsteinisches Städtchen im Ausnahmezustand. Die roten Klinkerhäuschen stehen für Idylle, ebenso der örtliche See mit der obligatorischen Pension Seeblick und dem Bootsverleih.

Dennoch ist die gewohnte Ruhe augenscheinlich gestört. Noch um zwei Uhr nachmittags rast die Feuerwehr über die für den Durchgangsverkehr gesperrte Hauptstraße. Sie löscht eins der noch immer brennenden Häuser. Menschengruppen stehen in den Straßen zusammen und diskutieren.

In der Nacht zum Montag wurde der 18.000 Einwohner zählende Ort zum Schauplatz eines grausamen Fanals: zwei türkische Frauen und ein zehnjähriges Mädchen starben in den Flammen ihrer Häuser. Angezündet, darüber läßt auch in diesem Fall die Staatsanwaltschaft keinen Zweifel, von rechtsradikalen Brandstiftern. Nachts um ein Uhr waren innerhalb einer Stunde zwei Mehrfamilienhäuser in fünfhundert Meter Entfernung voneinander durch Brandsätze in Flammen aufgegangen.

Die türkischen Anwohner des Hauses in der Mühlenstraße, in der die Frauen und das Mädchen starben, sind fassungslos. Eine Frau erzählt: „Wir wurden nachts von Hilferufen geweckt, da brannte das Haus schon.“ Die neunköpfige Nachbarsfamilie hatte sich durch Sprünge aus dem zweiten Stock zu retten versucht. „Sie warfen ihre Babys aus dem Fenster und sprangen selber hinterher. Eine 51jährige und eine 28jährige Frau überlebten diesen verzweifelten Rettungsversuch nicht. Auch die zehnjährige Enkelin starb. Die übrigen Familienangehörigen liegen mit Bein- und Hüftbrüchen im Krankenhaus.

„In Mölln leben alle wie eine große Familie“, sagen am Nachmittag viele der deutschen wie ausländischen Einwohner, die sich am niedergebrannten Haus versammeln. Wie ein Magnet zieht das völlig verkohlte Häuschen die Möllner an. Die Kommentare sind einhellig ablehnend. „Pfui Teufel, wer kann so etwas tun“, erregen sich zwei ältere Damen. Keiner der befragten Möllner will zuvor bedrohliche Warnzeichen für eine solche Gewalttat in dem Städtchen wahrgenommen haben. Rechte Umtriebe, so die Auskünfte, habe es selbst vor dem örtlichen Asylbewerberheim nicht gegeben.

Doch einige der ausländischen Jugendlichen kennen auch die ortsansässigen Neonazis. Etwa zehn seien es, „allerdings eher Mitläufer“. Doch auch die Jugendlichen glauben, daß kein Möllner zu einer solchen Tat fähig sei. Aber sie wissen von einem Zusammenstoß zwischen Skins und linken Antifaschisten zu berichten, der sich am 30. Oktober beim jährlichen Jahrmarkt im Anschluß an eine Demonstration gegen Rassismus entwickelt hatte.

Daß Mölln nicht mehr so idyllisch ist, wie viele AnwohnerInnen noch glauben wollen, bestätigt auch eine andere junge Frau. Ihr Mann, ein Möllner Polizist, habe ihr erzähhlt, daß hier in Sachen Rechtsradikalismus „einiges los sei“, was die Polizei unter dem Deckel halten würde. Mehr will sie allerdings nicht sagen.

Warum es gerade diese zwei türkischen Familien getroffen hat, weiß sich niemand zu erklären. Die Menschen in der Mühlenstraße lebten bereits über 20 Jahre in diesem Häuschen. Die Frauen arbeiteten in der Textilfabrik in Ratzeburg. „Wir haben uns hier heimisch gefühlt“, schildert eine türkische Nachbarin. Im nahegelegenen türkischen Kaffeetreffpunkt haben sich am Nachmittag die türkischen Männer des Ortes versammelt. Ernst und schweigsam lauschen sie der Rede, die der eilig herbeigereiste Hamburger Bundestagsabgeordnete Freimut Duve improvisiert. Wenig tröstend klingen seine Ausführungen über diese „dramatische Kriegserklärung gegen unsere Demokratie“. Sein Appell: „Lassen Sie sich jetzt nicht durch solche Vorfälle in Ihrer Seele vertreiben, wir müssen jetzt zusammenhalten“, wird jedoch mit verhaltenem Beifall der Kaffeehausbesucher bedacht.

Schon am Mittag waren 500 Schüler in einer Spontandemonstration durch die Stadt gezogen. Am Abend sollte ein größerer Umzug stattfinden. Dazu wurden auch Hamburger Demonstranten erwartet. „Dann gibt's hier Randale“, freute sich gestern nachmittag einer der Möllner Jugendlichen. „Was sollen wir tun“, wehrt jedoch einer der türkischen Jugendlichen ab. Wir könnten jetzt zwar einige weghauen, aber das bringt uns die Toten nicht zurück.“ Sannah Koch