St.-Jürgens Große Wand

■ Eine Vision für das Gelände St.-Jürgen-Straße soll Wirklichkeit werden, bald irgendwann

St.-Jürgens Große Wand

Eine Vision für das Gelände St.-Jürgen-Straße soll Wirklichkeit werden, bald irgendwann

Jetzt: Stein und Stein. Wildwuchs. Alle baulichen Achsen vollgestellt. Den Blick verbaut. Perspektiven gebrochen, vermassselt. Lange Wege. Verwirrung. Blechlawinen. Flickschusterei in Beton und Klinker, fast halb so groß wie die Bremer Altstadt. Später, bald, irgendwann: eine dicke „dienende Mauer“, die Große Wand, und dahinter, darin: die „Grüne Insel im Stein“, Bauten und Gärten im Park. Ja: womöglich haben die Hannoveraner ArchitektInnen, die gestern in Bremen prämiert wurden, ihren 1. Preis, auch, für ihre Sprache und ihre Philosophie bekommen. Denn damit haben sie unwiderstehlich in die richtigen Ohren und Herzen gelegt, was sie „nicht als Utopie, sondern als Vision“ verstehen. Also realistisch.

Das St.-Jürgen-Krankenhaus, seit dem vorigen Jahrhundert auf riesigem Gelände einfach immer drauflos gewachsen, soll in Form gebracht werden. Dazu gibt es jetzt das Wichtigste: die schönen Aussichten. Mit einem Wettbewerb, der viel mehr als Ideen lieferte, nämlich ein richtiges und ernstgemeintes Langzeit-Konzept, brachte St.-Jürgen-Verwaltungsdirektor Karl Spindler die Sache in Schwung; von bundesweit 30 interessierten Architektenteams durften sich 5 an die Arbeit machen, die Pläne aus dem Büro Hansjörg Göritz / Hannover gewannen deutlich vor den anderen das Wohlwollen der Jury. Darin saß übrigens auch der Viertelbürgermeister Hucky Heck, der die Interessen der AnwohnerInnen einbrachte.

Und das ist die zunächst etwas überraschende Vision, die „um- fassende Lösung“: Das 500 mal 500 Meter große Areal wird einen steinernen, gegliederten Rand bekommen, eine „Große Wand“, die das Innere schützend umschließt, hortus conclusus innerhalb ener starken, klaren Kontur, außen die stadträumliche Definition, innen die parkartige Offenheit, erklären die ArchitektInnen. Die Mauer, die Große Wand, das ist ein Wall aus Bauten und Bögen. Sie bedeutet: Parken in der Erde, auf 2 Ebenen (1.500 Plätze) für Besucher, Mitarbeiter der Kliniken, auch AnwohnerInnen; dazu Werkstätten, Verwaltung, Labors; dazwischen Arkaden als Weg und an Haltestellen; dazwischen Läden, Gastronomie, Bibliothek, womöglich Stadtteil-Sozialstation, Räume für Selbsthilfegruppen, für Patienten-Nachsorge; außerdem ist die Große Wand Wandelgang und Sonnendeck. Der Gedanke: nach und nach kann die heutige Steinwüste im Inneren entkernt und entsiegelt werden, können Funktionen an den Rand gebracht werden. Je nach Kraft und Geld. 10, 20, 50 Jahre lang.

Der Innenraum soll Sammeln und Einkehr ermöglichen, „Abgeschiedenheuit auf das Kranksein der Welt“. Es wird kein ruhendes oder fahrendes Blech mehr geben; derzeit belästigen 1.100 Autos das kleine Gebiet täglich und die Nebenstraßen.

Die Gärten im Park sind geplant als lebende Gegenbeweise zu der Resignation, die sich heute überall in Cotoneaster-Beeten und Petunien-Rabatten ausdrückt. Sie sind Architektur: eine Grüne Halle als Eingang unter schirmförmig geschnittenen Platanen; der Arkadenhof mit Bäumen, Clematis und Glyzinien; die Geometrisierten Gärten mit Kies und Bambus, Die Kapelle im Wasser im Garten der Stille, der Kapellenhain, wilde Wiesen...

Das hört sich teuer an. Und zugunsten der Vision waren finanzielle Einschränkungen auch gar nicht für die Ausschreibung vorgesehen. Aber die Pläne sind mehr als teure Ideen: „Wir werden künftig auch die kleinsten Schritte, baulich und gärtnerisch, einordnen in diesen Rahmen“, stellte Verwaltungsdirektor Spindler in Aussicht, „das wird bindend für uns.“ Als erster Schritt kommt jetzt die neue Zentrale Aufnahme, 24 Stunden täglich mit Ärzten besetzt, damit nicht mehr der Pförtner um die erste Diagnose gebeten werden muß. 13,5 Mio. sind schon zugesagt. Auch die geplante Zentralisierung der OP's im selben großen Kopfgebäude wird sich in das visionäre Konzept einfügen. „Ich kenne keinen schöneren Effekt, als von den Seiten umschlossen, gleichsam vom Weltgetümmel abgeschlossen zu sein und über sich frei, ganz frei den Himmel zu sehen, abends.“ Schrieb F. Gilly 1797, erinnern die ArchitektInnen. Susanne Paas