■ GASTKOMMENTAR
: Heute schon geschämt?

Nach jeder Nachricht über die rassistischen Überfälle an Menschen nichtdeutscher Herkunft folgt fast immer eine Nachricht über die Asyldiskussion.

Nach jedem Überfall hört man Sätze wie „Mehrere Tausend Menschen demonstrierten für Ausländer“. Solche Sätze besagen nur, daß viele der ReporterInnen nichts von der Gefahr des braunen Drecks verstanden haben.

Wie kommt man dazu, für Ausländer zu demonstrieren und nicht für eigene Interessen, die auch in Gefahr geraten, wenn man den Rassismus nicht bekämpft. Verabscheuen allein reicht nur den PolitikerInnen, die nach jedem Überfall auf Asylantenheime oder auf Häuser, die von EinwanderInnen bewohnt sind, ihre Betroffenheit auf den Bildschirmen schamlos bekunden, indem sie sich jeden Tag öffentlich schämen. Dieses Schämen gehört langsam zum politischen Alltag vieler PolitikerInnen. Es kommt mir manchmal so vor, als ob sie vor lauter Schämen gar nicht zum Handeln kommen.

Die rassistischen Überfälle in Deutschland haben mit dem Mord- und Brandanschlag in Mölln eine andere Dimension bekommen. Das wundert nur die, die das Ganze bis jetzt verharmlost haben, nicht aber die EinwanderInnen, Flüchtlinge und die noch denkenden Menschen in diesem Land.

Das Interssante an diesem Mord- und Brandanschlag in Mölln, bei dem drei Menschen getötet wurden, ist, daß endlich die verlogene Haltung vieler PolitikerInnen und vieler MeinungsmacherInen offen zutage tritt. Sie verraten sich am laufenden Band. Zum ersten Mal greift die Bundesanwaltschaft ein, weil sie die Belange der Bundesrepublik gefährdet sieht. Bis jetzt war alles so in Ordnung. Solange nur die AsylbewerberInen mit Molotowcocktails beschossen wurden, war es nicht so schlimm. Nun geht es aber zu weit. Wenn jetzt sogar die EmigrantInnen angegriffen werden, die zum Wohl dieses Staates beigetragen haben und dies immer noch tun, muß sich die Bundesanwaltschaft endlich einmischen. Nun würde vielleicht nur noch ein Überfall auf eine Synagoge fehlen, dann wäre der Punkt erreicht, wo sich niemand mehr einfach so über die Bildschirme schamlos schämen könnte.

Viele heitere Gesichter des politischen und medialen Lebens haben bewußt vieles geduldet, und nun geht es sogar für sie ein bißchen zu weit. Es ist nicht mehr möglich, von einer „radikalen Minderheit“ zu sprechen. Was davon stimmt ist ihre Radikalität, jedoch nicht ihre vermeintliche Minderheit, da sie einen Rechtstaat in die Knie zu zwingen in der Lage sind. Natürlich spielt hierbei auch die heimliche Bereitschaft, in die Knie zu gehen, eine nicht unerhebliche Rolle.

Der ständige Vergleich mit Links- und Rechtsradikalismus ist mehr als irreführend, er ist eine arglistige Täuschung der Öffentlichkeit. Wer wird wohl dieses Vergehen einklagen? Eine leichte mathematische Rechnung würde bestätigen, daß es während der Blütezeit des sog. Linksradikalismus nicht so viele Opfer gab wie in diesem einen Jahr von Rechtsradikalen. Das sind viele Tatsachen, die offen dargelegt werden können und die diesen Vergleich unverhältnismäßig werden lassen.

Die Sorge der deutschen PolitikerInnen und VertreterInnen der Medien um das Ansehen von Deutschland im Ausland gehört zu den lächerlichsten Begründungen. Übersetzt klingt es eher so: „Leute , macht keinen Scheiß; bißchen Randale war doch gut für die Asyldiskussion, aber nun ist Schluß. Was denken denn sonst die Nachbarn von uns.“

Es geht nicht um die Rettung der jungen, kriechenden Demokratie in Deutschland, es geht nicht um die Bewährung der Menschenrechte, nicht um die Bestrafung der Mörder, sondern um das Ansehen Deutschlands. Manchmal fällt einem nichts mehr ein.

Solange die Gewalt von Rechts verharmlost wird, solange der Artikel 16 nicht in Ruhe gelassen wird, solange die Demokratie nazistisches Gedankengut salonfähg macht, indem sie rechte Parteien den Gang zu Parlamenten öffnet, gibt es nichts mehr als Phrasen. Alle reden vom Zeichen Setzen, von rechts bis links. Nur weiß man meistens nicht, welche Art von Zeichen sie meinen. Heißt dieses Zeichen, die Abschaffung des Artikels 16, oder heißt dieses Zeichen, daß man den EinwanderInnen endlich die selbstverständlichsten Bürgerrechte gewährt, indem z.B. Einwanderungspolitik betrieben oder Wahlrecht gewährt wird.

Es gibt die Möglichkeit des Schweigens oder des Handelns. Vielleicht ist das Handeln nicht so einfach, weil man in Deutschland dazu neigt, alles Mögliche zu Tode zu diskutieren. Allein nach den Gründen der Zunahme von Rechtsradikalismus zu suchen, nützt den Menschen nicht, die um ihr Leben bangen müssen oder die ermordet worden sind.

Die „neue Stufe“ der rechtsradikalen Gewalt bringt das erste Mal ein Verbot von nazistischen Gruppierungen in die Debatte, die schon längst überfällig ist. Derartige Zögerlichkeiten kann man sich allein aufgrund der deutschen Geschichte nicht leisten, Sich in Demokratie üben sollte nicht heißen, daß alles von Rechts wegen erlaubt ist. Heute drängt sich doch unweigerlich der Eindruck auf, daß bei Mord sehr unterschiedliche Maßstäbe angesetzt werden. Die bisherige Praxis, rechtsradikale Gewalttaten zu dulden, ist einfach zum Kotzen.

Wenn Angegriffene zunehmend zur Gegenwehr greifen werden, was aufgrund der aktuellen Lage durchaus möglich ist, wäre dies eine Chance auch für die Medien, dies in ihrer Berichterstattung nicht als Gegengewalt, sondern als eine Selbstverteidiung zu betrachten. Gülbahar Kültür

Die Autorin lebt seit 1979 in Bremen