Israels Oberzensor unter Druck

■ Abkommen der Presse mit der Militärzensur kritisiert

Tel Aviv (taz) – Die israelischen Medien kritisieren neuerdings offen das bestehende System der Militärzensur, das seit der Staatsgründung 1948 auf der Grundlage der britischen kolonialen Notstandsgesetze aus dem Jahr 1945 praktiziert wird. Über die Umstände eines schweren Unfalls während einer Übung der israelischen Armee war kürzlich von der Pressezensur eine partielle Nachrichtensperre verhängt worden. Bei dem Unfall im Negev kamen fünf Mitglieder einer Eliteeinheit ums Leben. Nach Aussagen des Verteidigungsministers wäre der Unfall durch entsprechende Sicherheitsmaßnahmen vermeidbar gewesen. Die israelische Tageszeitung Ha'aretz nahm diesen Vorgang zum Anlaß, die seit langem bestehende Vereinbarung zwischen der Zensurbehörde und einem Ausschuß der Chefredakteure der Tagespresse zu kündigen. Vor allem protestierte Ha'aretz gegen das ursprünglich auferlegte Schweigeverbot; es bezog sich in diesem Fall auf die Anwesenheit des israelischen Stabschefs, seines Stellvertreters und anderer hoher Generalstabsmitglieder bei der Übung, die zu dem Unfall geführt hatte. Gegenwärtig untersucht die Militärpolizei, wer für die fehlenden oder unzureichenden Sicherheitsmaßnahmen bei der Übung verantwortlich war und wer von ihnen vor Gericht gestellt werden soll.

Der Knessetausschuß für Recht und Gesetzgebung unter Vorsitz des Abgeordneten Dedi Zucker (Merez) berief letzte Woche eine Sondersitzung zum Thema Zensur und Presse ein. Zucker beschuldigte die Chefredakteure der Tageszeitungen, einem Abkommen mit der Zensur zugestimmt zu haben, das nun 44 Jahre lang fortbestehe und mit einem demokratischen System unvereinbar sei. Das Abkommen schränke die Pressefreiheit viel weitgehender ein, als das Oberste Gericht verlange oder gestatte. Der Zensor habe enorme Privilegien und weitgehende Manipulationsmöglichkeiten zur Beeinflussung der Informations- und Veröffentlichungspolitik, so Zucker. Das Abkommen zwischen dem Chefzensor und dem kleinen Zirkel der Chefredakteure ermöglicht beiden Seiten, Streitfragen so zu schlichten, daß gerichtliche Instanzen dabei völlig ausgeschaltet bleiben. In der Praxis einigt man sich untereinander oder bringt Streitfragen vor ein Schlichtungskomitee, das aus einem Vertreter der „Öffentlichkeit“, einem Vertreter des obersten Zensors, und einem Vertreter des Komitees der Chefredakteure besteht. „Sicherheitsargumente“ des Zensors oder seiner Vorgesetzten sind dann in letzter Instanz entscheidend für die Veröffentlichungspolitik der Medien. Als „Gegenleistung“ bei diesem gentlemen agreement verpflichtet sich der Zensor, keine hebräischen Tageszeitungen zu schließen, wenn diese gelegentlich gegen Verbote der Zensur verstoßen haben. Aufgrund der britischen Notstandsverordnungen hat der Zensor nämlich das Recht, das Schließen von Zeitungen oder Zeitschriften zu befehlen.

Ha'aretz spielt nun nicht mehr mit. Der Chefredakteur verpflichtete sich zwar, Pressematerial weiterhin der Vorzensur vorzulegen, will jedoch in Streitfällen nicht mehr beim Schlichtungskomitee, sondern vor dem Obersten Gericht eine Entscheidung suchen. Der oberste Zensor Brigadegeneral Y. Schani warnte Ha'aretz: Damit gehe der Zeitungschef ein großes Risiko ein, weil das Oberste Gericht angeblich stets im Sinne des Zensors und bei Verletzung von Zensurvorschriften für eine Schließung der Zeitung entscheiden werde.

Die Mehrheit der Mitglieder des Knessetausschusses für Gesetzgebung und Recht befürwortet den Fortbestand der Militärzensur, verlangte jedoch, daß diese nicht aufgrund der Notstandsverordnungen der britischen Mandatsmacht schalten und walten solle, sondern zukünftig im Rahmen israelischer Gesetze. Der Vorsitzende Dedi Zucker setzte sich dafür ein, daß die Zensur einer zivilen Instanz übergeben und das breite Spektrum von zensurpflichtigen Themen wesentlich eingeschränkt werde. Amos Wollin