piwik no script img

"Wir sind nun erst recht rechts"

■ Der "Judith-Auer-Jugendclub" ist seit Brandanschlag geschlossen / Lichtenberger Kids müssen mit einer Holzbank auskommen / Der 17jährige, der Silvio Meier erstach, ist unter Gleichaltrigen bestens bekannt

Lichtenberg. Die Glaser packen gerade ein. Abends gegen zwanzig Uhr sind alle zersplitterten Scheiben des Jugendclubs „Judith Auer“ in der gleichnamigen Straße im Bezirk Lichtenberg provisorisch geflickt. Im Club selbst riecht es auch am vergangenen Dienstag abend – einen Tag nachdem Unbekannte einen Brandanschlag verübt hatten – verbrannt. Der Sozialarbeiter will zu keiner Frage Auskunft geben, nicht einmal sagen, wann der Club seine Türen wieder öffnen wird: „Fragen Sie das Bezirksamt.“ Fünf Jugendliche, die ihre Freizeit sonst in der Jugendeinrichtung verbracht haben, sitzen um die Ecke vor einer Kaufhalle auf einer Holzbank.

Für die 15- bis 17jährigen steht völlig außer Zweifel, daß der Anschlag „von Linken“ verübt worden ist. Sie waren Zeuge, als ihr Club erstmals wenige Tage vorher überfallen worden war. Am Samstag hatten offenbar Autonome aus dem Schutz einer größeren Demonstration heraus die Scheiben des Clubs mit Baseballschlägern eingeschlagen, während Jugendliche in der Einrichtung mit Computern und Billardkugeln spielten oder in der Disco tanzten. Der 17jährige Friedrichshainer, der in der Nacht auf Samstag den 27jährigen Hausbesetzer Silvio Meier erstochen hatte, ist dort bestens bekannt. Am Montag rief er vom Club aus die Polizei an, bevor er sich stellte. Der 17jährige habe nach seiner Tat „angegeben“, wen er alles mit dem Messer kaltgestellt habe, doch was er genau erzählt hatte, will keiner der fünf berichten. „Dann bin ich tot“, sagt einer.

Offenbar hat der 17jährige Berufsschüler in der großen Runde des Jugendclubs aber anderes erzählt als der Polizei. Denn keiner mag sein Geständnis bestätigen. Gerüchte kolportieren die Teenies dagegen gerne. Als wären sie selbst dabeigewesen, erzählen sie davon, daß der Friedrichshainer einen Polizisten verprügelt habe und wohl öfters Fahrradfahrer überfalle, um ihnen Geld abzunehmen. Auch soll er zwischen Büschen eine Waffe vergraben haben. Später erzählt ein anderer Jugendlicher, daß der von der Staatsanwaltschaft wegen „vollendeten Totschlags“ Angeklagte eine schwangere Frau, die Freundin seiner Schwester, „zusammengetreten“ habe.

Inzwischen hat ein Team eines Privatsenders vor dem Jugendclub seine Kamera aufgebaut. Die Clique fühlt sich von dem Scheinwerferlicht angezogen, das einen Spot auf ein am Balkon des Jugendclubs angehängtes Transparent „Gegen Gewalt“ wirft. Auch in dem Interview für die Sendung „Guten Morgen Deutschland“ verraten die Jugendlichen nichts.

Die Jugendclique hat einen Groll gegen Menschen, die anders aussehen als Westeuropäer. Zum Stichwort Ausländer fallen ihnen Worte wie „Fußabtreter“ und „gut für Seife“ ein. Die „Kanacker“ würden Deutschland verschmutzen, überall ihren Dreck hinwerfen. Nur die „Fidschis“ im Bezirk seien zuvorkommend – nachdem man einen von ihnen verprügelt habe. Seitdem würden sie bei dem illegalen Handel Zigaretten-Pakete „so abgeben“ – bezahlt werden braucht nicht mehr. Auch politisch Andersdenkende scheinen nicht sonderlich beliebt zu sein. „Linke“ würden an U-Bahnhöfen um Geld betteln, weil sie faul seien und nicht arbeiten wollten.

Plötzlich pfeift aus dem Nichts eine Leuchtkugel, die die Gruppe vor dem Jugendclub knapp verfehlt. Eine weiterer roter Leuchtball verirrt sich in einer anderen Richtung. Die Teenies nehmen ihre Beine in die Hand und laufen in jene Richtung, aus der nicht geschossen wurde. Auf der Straße hinter dem Jugendclub klappen Autotüren, dann hört man einen Wagen wegfahren. Ein etwa 40jähriger Spaziergänger erzählt für alle überraschend, daß „zwei Glatzen“ in einen Audi gestiegen seien – das habe eine Nachbarin beobachtet. Die Jugendlichen glauben dennoch, daß die hinterhältigen Schützen „Autonome“ gewesen seien.

Den verübeln sie, daß sie ihren ersten Überfall auf den „Judith- Auer-Club“ an einem Samstag verübt haben und nicht freitags – wenn bekannterweise „die Glatzen“ im Club auftauchten. Für kommenden Freitag erwarten die Kids aus Lichtenberg Übergriffe der Rechtsradikalen auf die Mahnwache am U-Bahnhof Samariterstraße. Freitags seien die Rechten aktiv, weil sie ihren Eltern sagen könnten, sie würden bei einem Freund übernachten.

Nur manchmal läßt eines der Kids durchschimmern, daß es mit der Gewalt nicht so weitergehen könne, weil sonst „jeder jeden abstechen“ werde. Auch würden Schwarze gute Musik machen. Doch wenn die Sprache auf den Brandanschlag kommt, scheinen sich alle einig: „Jetzt müssen wir erst recht rechts sein.“ Dirk Wildt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen