piwik no script img

RTL reanimiert den Sailer Toni

■ Die Kölner präsentierten stolz ihre 93er Kollektion

Köln (taz) – Und alle waren sie da. Vom Hollywood-Reporter über Gottschalk, PS-Jüngling Michael Schuhmacher bis hin zu Erika Berger hatte die RTL-Touristik alles eingeflogen, um der Präsentation der 93er Programm-Kollektion die höheren Weihen des Show-Events zu verleihen. Und die Promis, wahrscheinlich mit einem entsprechenden Passus (Präsenzpflicht) in ihren Verträgen, ließen sich willig profunde Statements entlocken. „Wir sind glücklich“, flötete „Explosiv“-Moderatorin Barbara Eligmann ob der von ihr erreichten Vier-Millionen-Quote und hatte damit auch schon das Motto der Veranstaltung ausgegeben. Alles eitel Sonnenschein. Schließlich hat man nicht nur die Sat.1-Offensive schadlos überstanden, sondern, eigenen Zahlen zufolge, in der für die Werbewirtschaft relevanten Zielgruppe der 14- bis 49jährigen inzwischen auch ARD und ZDF abgehängt und steuert für 1993 mit einem avisierten Umsatz von zwei Milliarden die Vorherrschaft unter den europäischen Privatsendern an. Erreicht werden soll das ehrgeizige Ziel mit einem ganzen Sack voll neuer Shows (unter anderem legt Rudi Carrell „Am laufenden Band“ wieder auf), Human-Touch- und Reality-Schmonzetten, Sitcoms (u. a. mit Diether Krebs) und Serien bis zum Abwinken. Alles vorwiegend hausgemacht und garniert mit frisch angeheuerten TV-Promis. Nach dem grandiosen Erfolg mit der Wörthersee-Spelunke wird nun das Leben in seiner ganzen Breite per Serie vermessen. Ob Spionage-Krimi, Geschichten aus einem Polizeirevier, herzige Yuppie-Dramen oder hemmungsloser Heimat-Kitsch, volle Breitseite gegen die jüngsten – rührenden – öffentlich-rechtlichen Bemühungen, in jenen seichten Gewässern Flagge zu zeigen. Beachtlich, was die RTL-Frohsinnsstrategen da an versunkenen Größen aus grauer Vorzeit reanimiert haben: von Claus Wilcke über Dunja Raijter, Toni Sailer bis hin zu Ricky Shane (jede Wette, wieder mit offenem Hemd bis zum Bauchnabel). Die Serien-Heuler tragen Titel wie „Salzburger Nockerln“, „Sylter Geschichten“ oder „Almrausch und Pulverschnee“. In „Matchball“ gibt Howard Carpendale den alleinerziehenden Tennisprofi.

Desweiteren Übersinnliches („Ungelöste Geheimnisse“), Vermißten-Dramen („Spurlos“), eine Sketch-Parade („Witzewelle“) und verstärkter Erotik-Offensive. Neben „Uns Erika“ auf den Spuren von Shere Hite („Phantasmen“) soll bei RTL endlich auch auf den Bildschirm kommen, was deutsche Frauen zunehmend zur Raserei bringt: Männerstrip!

Auch wenn einem zu der ganzen Bescherung nichts mehr einfällt – die vollmundigen Erklärungen von RTL-Boss Helmut Thomas, inzwischen die „wichtigsten Köpfe von Entertainment und Infotainment“ in seinem Stall versammelt zu haben, werden seine Kollegen von ARD und ZDF kaum noch mit einem müden Lächeln abtun können. Mit Hape Kerkeling ließen sie sich schließlich auch noch den so ziemlich letzten Hoffnungsschimmer der öffentlich-rechtlichen Unterhaltung abkaufen. Warum sich RTL allerdings den Luxus leistete, seine hochkarätigste Neuerwerbung während der Programm-Präsentation gänzlich unerwähnt zu lassen, blieb ein Fall für „Ungelöste Geheimnisse“. Reinhard Lüke

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen