Der Flirt mit der entfesselten Wildnis

■ Variationen eines alten Stoffes bei Cocteau, Disney und Co.

Es gibt wohl kaum einen literarischen Stoff, der so häufig in der Filmgeschichte variiert wurde wie das vor ungefähr 250 Jahren geschriebene Märchen von Madame Leprince de Beaumont, „La Belle et la Bête“, die Liebesgeschichte von der sphärisch-empfindsamen Schönheit und dem unzivilisierten, wenngleich herzensguten Monster, das in Wahrheit ein Prinz ist, enthält das vielleicht am häufigsten variierte Beziehungsmuster der Filmgeschichte.

Dies Muster findet sich – meist ohne physische Rückverwandlung – in den verschiedenen Frankenstein-Variationen, in „King Kong“, in „Nightmare on Elm Street“, im „Terminator“, im „Schweigen der Lämmer“, in „Basic Instinct“, in „Cape of Fear“, und Verwandtem, überall da also, wo eine eher prüde Schöne, die noch bei ihren Eltern lebt, auf den wilden, welterfahrenen, triebverfallenen Mann trifft. Den rauhen Kern ihres späteren Liebhabers durchbricht die Schöne, kitzelt das Gute aus ihm heraus. (Manchmal tut das Monster dann auch nur so, als sei es schon zivilisiert; die Schöne ist mit dem Betrug einverstanden, läßt sich willig verführen und macht danach „Huch“.) Die früher mehr, heute weniger versteckte sexuelle Botschaft des Beauty-&-the-Beast-Klischees lautet: the animal fucks well. Wann es das darf und ob dabei das sexuelle Vergnügen den FilmheldInnen nur als Flirt oder erst nach der kulturellen Veredelung des Tieres gestattet ist, hängt von der Zielgruppe des Films ab. (In Jugendfilmen muß das Monster – „Terminator“ oder „Freddy“ – schon recht ausgiebig morden, um ein bißchen Freundschaft, gar einen versteckten Blick zu bekommen. In den Erwachsenenfilmen dagegen gibt's Sex fast umsonst.)

„Beauty and the Beast“ ist eine klassische Erziehungsgeschichte, an deren Ende der Schmutzfink stubenrein geworden ist, und das gefügige Ex-Monster zur Belohnung mit seiner Schönen ins lenorweiche Bett fallen darf. Die Disney-Version, die nun als „der erfolgreichste Zeichentrickfilm aller Zeiten“ in die Kinos kommt, ist vermutlich die sauberste Version der Geschichte. Das Monster (das trotzige, das schlimme Kind) wird zwar auch geliebt; echtes Glück kriegt es jedoch erst, wenn es sich in einen manierlichen Prinzen verwandelt hat. Diese Verwandlung benötigt zahlreiche Aufpasser. Damit sie gelingt und um jegliche Eigenmächtigkeiten der Helden zu verhindern, hat man den Trickfilmfiguren ein paar hundert AufpasserInnen in den Bereichen „Animationskontrolle“, „Animationsüberwachung“, „Charakterdesign“, „Charakterleitung“, „Charakterüberwachung“ und „Charakterassistenz“ zur Kontrolle mitgegeben. Wo die Seele (Anima) derart bewacht und kontrolliert wird, flieht sie still. Die Kinder wird das vermutlich nicht weiter stören. Ihnen bleibt ein angstfreier, unterhaltsamer, beeindruckend bunter und erinnerungsloser Quickie.

Jean Cocteau weicht in seiner klassischen und trotz aller Theatralik spannenden Version des Themas („La Belle et la Bête“, deutsch: „Es war einmal“, 1946) von diesem Schema ab, um ein anderes zu stabilisieren. Wie viele B-Horror-Filmer in den siebziger und frühen achtziger Jahren liebt der in seinen sonstigen Filmen doch ein wenig arg hineingeheimnissende Regisseur und Ernst-Jünger-Fan sein meist recht melancholisches Monster, dessen beeindruckende Halskrause an die Sonne erinnert.

Die zivilisierte normale Welt dagegen, in die sich das arme Monster am Ende hineinverwandeln muß, ist ihm ein Greuel. Die Brüder seiner schönen Schönen werden als gelangweilte, moralisch indifferente, frohsinnige Trottel geschildert, bei ihren zwei bösen Schwestern regiert Geldgier und herzloser, asexueller Ehrgeiz.

In der Welt der Bestie dagegen gibt es Wunder – den Spiegel, der die Person zeigt, um die man sich sorgt, partikularisierte Gliedmaßen, die die Leuchter im verwunschenen Schloß der Bestie halten, goldene Schlüssel zu unermeßlichen Schätzen, (die in der Hand der gemeinen Schwestern zu Nattern werden), schöne Tränen, die sich in Diamanten verwandeln.

Das Happy-End des Arno-Breker-Freundes ist eher unglücklich. Interessant allerdings ist, daß es aus der Perspektive der Schönen erzählt wird. Es ist die Heldin, die zuvor argen Ekel vor dem Monster empfand und plötzlich das in einen langweiligen Prinzen verwandelte Ungeheuer nicht lieben kann. Ihr Begehren, so erkennt sie am Ende, galt wohl doch eher dem triebverfallenen Wilden, der in der zivilisierten Welt für verlorengegangene poetische Utopien steht. Doch wenn sich Zivilisation und Wildnis treffen, verkriechen sich „die Bestien, die ihre Liebe beweisen wollen, und ohne sich zu wehren, sterben sie“. Detlef Kuhlbrodt

„Die Schöne und das Biest“. Walt Disney, USA 1992. Anläßlich des Kinostarts bringen diverse Programmkinos Jean Cocteaus „La Belle et la Bête“ als Wiederaufführung ins Kino.