Polizei seit Rostock sensibilisiert

■ Interview mit dem Direktor des Landeskriminalamtes Brandenburg, Axel Lüdders

taz: Herr Lüdders, die Arbeit der Polizei ist in Mißkredit geraten. Ein zentraler Vorwurf lautet, daß sie eingreifen könnte, es aber nicht konsequent genug tut. Herausragende Beispiele sind Rostock oder Hoyerswerda. Die Ausschreitungen in beiden Städten fanden zwar nicht in Brandenburg statt, könnten sie sich aber hier nicht auch wiederholen?

Axel Lüdders: Die Frage stellt man sich als Polizist natürlich selber. Auch wir Polizisten waren über die Ausschreitungen entsetzt. Wenn Rostock ein Gutes gebracht hat, dann den Umstand, daß die Polizei hier in Brandenburg so sensibilisiert wurde, daß sich so etwas in dieser Form nicht wiederholen kann. Das gilt meines Erachtens auch für die übrigen Bundesländer. Fairerweise muß man bedenken: Je größer und schwieriger solche Polizeieinsätze sind, um so mehr potenziert sich die Gefahr taktischer Fehler. Rostock ist aber auch ein Beispiel dafür, mit welchen Schwierigkeiten die Polizei in einem der neuen Bundesländer zu kämpfen hat. Die Strukturen für eine demokratisch legitimierte Polizei mußten schließlich vollkommen neu aufgebaut werden. Und Einsatzlagen wie in Rostock hat es vorher nicht gegeben. Bei Einsätzen in Brandenburg, in Cottbus und Eisenhüttenstadt hat sich aber auch gezeigt, daß die Polizei in der Lage ist, die erforderliche Härte zu zeigen, um Gefahren für Menschen abzuwehren.

Was macht konkret das LKA in Brandenburg?

Unsere Beamten werden auch selbst ermittelnd tätig. Wir werten unsere und die Erkenntnisse der Polizeien vor Ort aus, um feststellen zu könnnen, ob es im Hintergrund Personen gibt, die die rechtsextremistischen Ausschreitungen steuern. Diese Erkenntnisse geben wir den Behörden zurück, damit deren Einsätze entsprechend vorbereitet werden können. Wir haben dazu eine Sonderkommission REGA, „rechtsextremistische Gewalttaten“, gegründet, die ausschließlich Mitglieder dieser Szene ermitteln und deren Straftaten aufklären soll. Sie setzt sich derzeit aus fünf Beamten zusammen. In dem Moment, wo sie ermittelnd tätig wird, wird sie aber personell hochgefahren.

Brandenburgs Innenminister Ziel hat die Stärke der „Deutschen Alternativen“ und der „Nationalistischen Front“ mit jeweils 100 Mitgliedern angegeben, zu denen ein fünfmal so großes Umfeld hinzugerechnet werden muß.

Man muß mit diesen Zahlen vorsichtig sein. Wir rechnen in Brandenburg mit einem gewaltbereiten Potential von bis zu 500 Personen. Wir wissen aber auch, daß bei bestimmten Anlässen Personen sogar aus dem Ausland anreisen. Was wir im Augenblick im Bereich des Rechtsextremismus erleben, ist allerdings kein Phänomen der neuen Bundesländer. Das läßt sich im gesamten Bundesgebiet feststellen.

Ist es nicht eher so, daß in den Anfängen der neuen Bundesländer ein mehr oder weniger rechtsfreier Raum herrschte, der dazu geführt hat, daß die Führungskader der ganzen rechten Szene in den Osten Deutschlands gezogen sind? Wenn die Zahl der Ausschreitungen jetzt in den alten Bundesländern steigt, ist das doch eher ein Zurückschwappen aus den neuen Bundesländern.

Richtig ist, daß die Polizeistrukturen erst seit November letzten Jahres richtig funktionieren. Davor hat es Polizei in ihren alten Strukturen gegeben, sie war auch sehr mit sich selber beschäftigt, wie das generell für die öffentlichen Verwaltungen gilt. Es gab ein vermeintlich geringeres Entdeckungsrisiko für Staftäter. Der Neuaufbau der Polizei ist inzwischen aber abgeschlossen. Wenn Straftäter nun merken, daß es für sie riskanter wird, gibt es Verdrängungseffekte. Nach Rostock hatten wir flächenmäßig einen hohen Anstieg solcher Straftaten in allen Bundesländern. Dieses Phänomen herrscht seit langer Zeit im Bereich politisch motivierter Straftaten.

Der Hamburger Verfassungsschutz-Chef Uhrlau befürchtet die Entstehung einer rechten RAF. Beobachten Sie Ansätze zur Bildung rechtsterroristischer Gruppen?

Wir haben dafür keine Hinweise oder Erkenntnisse. Auszuschließen ist das aber nicht. Vielleicht hat man in den Altbundesländern nach den Erfahrungen mit RAF und RZ den Fehler gemacht, die Gefahr von rechts zu unterschätzen. Das mag auch daran liegen, daß die Gewalt, die von links kam, intellektueller, mit viel mehr krimineller Energie betrieben wurde.

Beim Rechtsextremismus haben wir es dagegen mit einem anderen Tätertypus zu tun, mit primitiven Menschen, die extrem feige sind und sich als Angriffsobjekte Menschen aussuchen, die sich nicht wehren können.

Mitte der siebziger Jahre wurden die Sicherheitsbehörden zur Bekämfung des RAF-Terrorismus in einem Maß ausgebaut, daß nahezu jeder Bürger, etwa bei Straßensperren, betroffen wurde. Dieser hochgerüstete Sicherheitsapparat erweist sich nun bei der Bekämpfung rechtsextremistischer Übergriffe aber als vergleichsweise hilflos.

Das möchte ich so nicht stehenlassen. Spätestens seit Rostock haben wir bewiesen, daß wir mit allen uns zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten und der erforderlichen Härte vorgehen. Bei den jüngsten Urteilen hat auch die Justiz in Postdam gezeigt, daß das rechtliche Instrumentarium ausreicht, um abschreckende Strafmaße zu verhängen. Eins kann Polizei und Justiz aber nicht leisten: Die Fehler, die in der Politik gemacht wurden, zu reparieren. Ein Vorwurf, den man den demokratischen Parteien machen muß, ist, daß man die Problematik Asyl im Parteiengezänk bis heute nicht gelöst hat.

Wenn von einer konsequenten Strafverfolgung die Rede ist, dürfte man doch erwarten, daß etwa gegen das Zeigen des Hitlergrußes bei Demonstrationen vorgegangen würde, daß untersucht würde, ob die „Deutsche Alternative“ nicht als Nachfolgeorganisation früherer Kühnen-Parteien sowieso schon verboten ist.

Sie sprechen hier mehrere Problembereiche an. Bei Verboten gibt es Vor- und Nachteile. Ein Verbot beseitigt grundsätzlich das Problem nicht. Die gleichen Leute taufen ihre Vereinigung anschließend um und sind damit zunächst wieder legitimiert. Dann wiederholt sich das Verfahren, Gründe für eine Verbot zu suchen. Solange solche Gruppen nicht verboten sind, hat die Polizei es auch leichter, entsprechende Informationen zu sammeln. Anderenfalls besteht die Gefahr, daß die Gruppen in den Untergrund abtauchen. Auf der anderen Seite gibt es aber auch gute Gründe, diese Gruppierungen zu verbieten. Wenn deren Mitglieder dann in den Untergrund abtauchen, habe wir eine leichtere rechtliche Handhabe, gegen sie vorzugehen. Ein Verbot muß von Fall zu Fall entschieden werden. Zu ihrer anderen Frage: Die Polizei muß nach rechtsstaatlichen Kriterien vorgehen, auch wenn sie dabei Härte an den Tag legt. Dazu gehört der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das Zeigen eines Hitlergrußes und das Einschreiten deswegen könnte zu einer Eskalation der Gewalt führen. Wenn wir es mit Hunderten von Störern zu tun haben, provoziere ich möglicherweise eine Massenschlägerei, bei der auch Unbeteiligte gefährdet sein können.

Wir müssen nach rechtsstaatlichen Prinzipien und nicht nach der Gefühlslage arbeiten. Interview: Wolfgang Gast