„Davids Enkel“ machen mobil

Militante Juden aus dem ehemaligen Ghetto Roms greifen zur Selbsthilfe/ Reaktion auf diffusen Antisemitismus/ Auch Versuche zur Einigung mit anderen diffamierten Gruppen  ■ Aus Rom Werner Raith

Daß die ragazzi aus dem ehemaligen jüdischen Ghetto in Rom, gelegen zwischen dem Marcello- Theater, der Tiber-Promenade und dem neubarocken Justizministerium an der Via Arenula, nicht zur der Sorte gehören, die nur mal so scherzen, das konnte der taz- Korrespondent schon voriges Jahr hautnah erfahren: damals, in den ersten Tagen der Krieges gegen den Irak, war er in dem ehemaligen Ghetto Roms eigentlich eher ganz zufällig auf ein paar pazifistische Graffiti aufmerksam geworden und hatte sie fotografiert – um im nächsten Moment einige kräftige Handkantenschläge gegen den Nacken und ein paar üble Hiebe in den Magen zu kassieren.

Überfall auf das Hauptquartier der Skinheads in Rom

Wenige Minuten später, wieder ganz bei sich, mußte er dann mithelfen, die Haudegen von einem weiteren Einsatz wegzuzerren: die Truppe befand sich in einem munteren, aber heftigen Handgemenge mit einer Schar arabischer Jünglinge, die den Einsatz gegen das Fotografieren wohl beobachtet oder auch darauf gelauert hatten, sich mit den Burschen von der anderen Frontseite anzulegen.

Geblieben sind von der damaligen Keilerei einige mittlerweile gar nicht ungute Kontakte zu einer Handvoll der damaligen Zuschläger – und die sind inzwischen wieder aktiv, diesmal aber eher mit gemeinsamer Stoßrichtung gegen Antisemitismus im Besonderen und Rassismus im Allgemeinen. Speziell ein gewisser Joko, der in der Via Regginella gleich hinter der Synagoge wohnt, tut sich dabei hervor: er war unter jenen Militanten, die am 5.November dieses Jahres einen gut vorbereiteten Überfall auf das Hauptquartier der Skinheads – in Italien mit dem aufs Ausland verweisenden Namen „Naziskins“ versehen – unternommen haben. Allerlei Mobiliar wurde dabei zertrümmert, und einige der lautstarken Rassismus-Trommler in der Via Domodossola im eher feinen Viertel Appio kräftig eingeseift.

Joko, der nach längerer Arbeit in einer koscheren Metzgerei das Abitur nachmachte und sich mittlerweile zu einem hervorragenden Computertechniker mauserte, bereitet derlei Aktionen generalstabsmäßig vor: „Die sollen spüren, daß sie auch im Falle des Zurückschlagens wieder eins aufs Dach bekommen.“ Denn: „Wo immer Juden in der Welt leben, sind die Völker gewohnt, alles mit ihnen anstellen zu können, ohne daß es Widerstand gibt. Damit ist jetzt Schluß.“

Joko hat bereits Kontakte zu Gruppen in allen möglichen anderen europäischen Ländern geknüpft, um eine Art „Internationale jüdische Selbsthilfe“ aufzustellen. Denn: „Die lächerlichen Gestalten da vorne an der Synagoge siehst du nämlich nicht, wenn was passiert.“ Er weist mit dem Kopf auf den mächtigen gelben Tempel. Seit einem palästinensischen Attentat vor zehn Jahren, bei dem dort ein Mädchen ums Leben kam, hält ein Polizei- oder Carabinieri-Fahrzeug mit drei oder vier Uniformierten vor der Synagoge Wache.

Vorausgegangen war der Attacke auf die Naziskin zweierlei: das Wochenmagazin L'Espresso hatte eine Umfrage veröffentlicht, aus der hervorging, daß jeder zehnte Italiener sich dazu bekennt, Antisemit zu sein. Wie sich im nachhinein herausstellte, lag dem eine fehlerhafte Berechnung zugrunde, denn tatsächlich waren es weniger als vier Prozent. Auch das ist noch zuviel, doch diese Ziffer wirkt weniger magisch als die zuvor genannten zehn Prozent.

Die falsche Umfrage hatte eine sofortige Wirkung gezeitigt. Noch in der Nacht der Vorabbekanntgabe der Resultate waren Rassisten ausgeschwärmt und hatten in Rom, aber auch in anderen Städten Hunderte von Geschäften mit dem Judenstern und antisemitische Parolen besprüht. „Da“, sagt Joko, „war uns klargeworden, daß das nicht mehr nur einzelne Dummköpfe waren, sondern schon genau vorbereitete Aktionen. Und da mußte man reagieren.“

Entsetzt distanzierten sich die Leiter der jüdischen Organisationen von der „Bestrafungsaktion“ der „Enkel Davids“. So nennen sich manche von ihnen, um den bereits grassierenden Begriff der „Brigade David“ (in Anklang an die „Roten Brigaden“) zu vermeiden. Tullia Levi, der Vorsitzende der Israelistischen Gemeinde, sah „aus solchen Handlungen eher kontraproduktive Konsequenzen“ entstehen, und Oberrabbiner Elio Toaff hob die Hände und sagte: „Mit Gewalt löst man keine Probleme und schon gar keine gesellschaftlichen.“

Doch Joko und seine Mitstreiter kontern: „Ohne Gewalt löst man offenbar aber auch keine.“ Was Elio Toaff immerhin zu dem Eingeständnis zwang, daß „der italienische Staat, als die Manifeste gegen Juden, die Friedhofsschändungen und die Wandschmierereien plötzlich da waren, wirklich nicht reagiert hat.“ Doch mehr als die Aufforderung an die „Behörden, zu prüfen, ob derlei Aktionen nicht Versuche zur Neugründung der verbotenen faschistischen Partei darstellen könnten“, fällt ihm auch nicht ein.

Dafür aber tuscheln mittlerweile Joko und speziell einer seiner engsten Freunde, Sammy, sowie eine ihrer gerade nach Rom gekommenen „Verbindungsfrauen“ aus Mailand, Giorgia, von einer „ganz und gar neuen und uns noch nicht ganz geheuren Entwicklung“: in einigen Vierteln nähern sich arabische Burschen ihren jüdischen Altersgenossen und fragen schon mal an, ob man nicht „gemeinsam was gegen Rassisten und Naziskins machen wolle“. Auch einige Afrikaner und Inder, deren Gruppen ebenfalls allesamt bereits Opfer rassistischer Übergriffe wurden, könnten sich eine Zusammenarbeit in Selbstverteidigungsgruppen vorstellen.

Dabei ginge es, wie Giorgia meint, „nicht nur und schon gar nicht vorrangig um Haudrauf oder nächtliche Überfälle – es wäre ja schon etwas, wenn sich alle Diskriminierten Anlaufstellen verschaffen würden, wo man die Tätlichkeiten und Angriffe dokumentiert, öffentlich macht und den Behörden so lange im Nacken sitzt, bis die reagieren“.

Bisher sind sich die Aktivisten des Überfalls auf die römischen Skinheads noch nicht einig, ob sie unter sich bleiben oder aber sich anderen gegenüber öffnen wollen. „Könnte sich ja auch um eine Lockaktion handeln, um uns dann als Gewalttäter vorzuführen, die man dann mit Fug und Recht ihrerseits zum Abschlagen preisgibt“, brummelt Sammy.

Die Kontakte nicht abbrechen lassen

Wie auch immer: abbrechen lassen will man die Kontakte zu „denen“ jedenfalls nicht. Doch die Wachsamkeit möchte man auch nicht abbauen: „Der Golfkrieg“, sagt Joko, „sitzt uns noch allen im Blut. Und damals haben wir auch bei unseren arabischen ,Vettern‘ oft genug Mordlust uns gegenüber in den Augen gesehen.“

Das mag stimmen oder auch nicht. Tatsache ist für Joko jedenfalls eines: „Erst seit wir uns auch mit unseren Fäusten wehren, nimmt uns die Nation überhaupt als Menschen wahr – und seither gelten wir auch etwas bei den Arabern und Afrikanern. Vorher waren wir nichts anderes als gesichtslose Angriffsziele irgendwelcher Banden, von denen man sich selbst nicht betroffen fühlte. Seit wir zugeschlagen haben, erkennt man uns auch als Lebewesen mit Gefühlen an.“

Und dann zitiert Joko noch einen Satz aus dem Film „Holocaust“: „Als der Aufstand im Warschauer Ghetto losbricht, sagt ein alter Jude: ,Ein Wunder ist geschehen – Juden wehren sich.‘ Grauenhaft, daß man Wunder braucht, bis eine so geschundene und schutzlose Gruppe wie wir sich zu wehren wagt.“