■ Dokumentation: Eine Konferenz gegen Nazismus
: Deutschlands Krise ist auch unsere

In meinem Archiv befindet sich eine Sammlung von Briefen und Artikeln, die sich gegen den Gedanken wehren, Nazis könnten jemals wieder eine Gefahr für Deutschland und Europa darstellen. Ich hatte Kolumnen geschrieben, Deutschland und der Westen hätten sich in die Vereinigung gestürzt, so als ob die Erinnerung an den Holocaust nicht ewiger Bestandteil menschlicher Geschichte seien. Einige der Briefe kamen von jungen Deutschen, ganz unglücklich darüber, daß ich überhaupt nur daran denken konnte, ihr Land heute hätte irgendeine Verbindung zu diesen Zeiten und Verbrechen. Dann, als die Bürger des „vereinten“ Deutschland mit dem Verprügeln und Töten von Ausländern begannen und ich meine Angst über eine Ausweitung beschrieb, kamen noch mehr Briefe und Kolumnen, voller Widerrede und Spott. Westliche Politiker sagten wenig über die Geschehnisse in Deutschland – sagten wenig und taten nichts. Ich erzähle all das, weil zwei wichtige Jahre so vergeudet wurden. Mag die Mehrheit der Deutschen auch Anti-Nazi oder „Nicht-Nazi“ sein. Die „Demonstranten“ jedenfalls sind nicht nur eine abseitige Gang von Ostdeutschen. Nazis operieren sowohl im Westen als auch im Osten Deutschlands. Man muß aufhören, sie Neo-Nazis oder Rechtsradikale zu nennen. Sie und wir wissen, wer sie sind. Der Nazismus in Deutschland, dem Herzen des Kontinents, spornt die Nazis in Zentral- und Osteuropa wiederum an. Auch dies geschah in den 30ern und 40ern: in Ungarn, Rumänien, Rußland, dem Balkan. Deutschland steht vor einer Notfall-Situation, ist das Ergebnis einer Helsinki- Watch-Studie über die Menschenrechte. Deutschlands Krise ist unsere Krise. Soviel haben wir sicherlich aus Hitler gelernt. Aber der Westen tut nichts. Man überläßt alles der Bonner Regierung, die so offensichtlich versagte.

Sicherlich kann der Westen nicht die Verantwortung für alle die politischen und polizeilichen Schritte gegen Nazis übernehmen. Aber er kann zumindest die deutsche Regierung zu effektiveren Schritten bringen. Die EG und die USA sollten also schnellstens ihre ganzen gedanklichen Energien vom Preis für Sojabohnen auf den des Nazismus lenken. Erster Schritt wäre ein hochkarätiges Treffen, das dem Nazismus die Aufmerksamkeit gibt, die er auch verdient. Und nach dem Gipfel? Eine Antwort könnte in einer permanenten internationalen Einrichtung gegen Nazi-Organisationen liegen – vermittels Polizei, Gerichten und der Legislative in Europa. Deutsche und andere Länder, in denen der Nazismus wächst, würden gezwungen, härtere Maßnahmen zu ergreifen, sonst drohten internationaler Boykott und Ächtung. A.M. Rosenthal

Der Autor ist Kolumnist der US-amerikanischen Tageszeitung „New York Times“. Die gekürzte Fassung entnahmen wir der gestrigen Ausgabe der „International Herald Tribune“.