Steuerboykott gegen untätige deutsche Politiker

■ Interview mit Ahmet Güler vom Türkisch-Deutschen Unternehmerverein

taz: Der Türkisch-Deutsche Unternehmerverband hat seine Mitglieder zu einem Steuerboykott aufgerufen. Was möchten Sie damit erreichen?

Ahmet Güler: Ich möchte vorausschicken, daß türkisch-deutsche Unternehmer und Investoren ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in Deutschland sind. Es gibt 35.000 türkisch-deutsche Unternehmer in der BRD, die etwa 135.000 Arbeitnehmer beschäftigen. Davon sind 60 Prozent deutsche Staatsbürger, die in türkischen Unternehmen arbeiten. Allein die Unternehmer bezahlen pro Jahr gesetzliche Sozialabgaben in Höhe von 6,2 Milliarden Mark. Jedes Jahr tätigen ehemalige Gastarbeiter Investitionen in Höhe von drei bis vier Milliarden Mark. Allein die Ersparnisse von türkischen Gastarbeitern auf deutschen Sparkonten werden auf 140 bis 170 Milliarden Mark geschätzt. Ein einziger türkischer Unternehmer aus Izmir beschäftigt gegenwärtig in Ostdeutschland 3.500 deutsche Arbeitnehmer. Und dennoch kommt es zu Übergriffen. Ein türkischer Bauunternehmer aus Hannover hatte einen Auftrag in Ostdeutschland erhalten. 30 Fachkräfte aus der Türkei sollten an dem Projekt in Leipzig arbeiten. Vor zwei Wochen wurden ihre Wohnwagen nachts von Neonazis mit Steinen und Molotowcocktails angegriffen. Als sie die Wohnwagen verließen, wurden sie mit Steinen beworfen. Dabei wollten sie gar nicht in Deutschland bleiben, sondern nur den Auftrag erledigen und dann zurückkehren. Als der Firmeninhaber gesehen hat, daß da weitere Konflikte entstehen und die Menschen Angst haben, hat die Firma diese Mitarbeiter am nächsten Tag mit einem Charterflugzeug in die Türkei zurückgebracht. Den Auftrag hat die Firma zurückgegeben.

Wie viele türkische Unternehmer haben sich dem Aufruf bisher angeschlossen?

In Niedersachsen und Bremen sind fast alle unsere Mitglieder davon überzeugt mitzumachen. Wir werden ein Sonderkonto bei einem Notar einrichten. Wir werden einen gewissen Prozentsatz der Sozialabgaben, den der Staat für unseren Schutz ausgeben sollte, einbehalten. Unsere Experten werden den Prozentsatz noch errechnen. Das Geld wird solange auf dem Sonderkonto einbehalten, bis die Frage geklärt ist, wie es um unseren Schutz steht. Und falls der demokratische deutsche Staat und die Polizei nicht in der Lage sind, uns zu schützen, dann werden wir in Erwägung ziehen, eine private Schutzpolizei durch das Sonderkonto zu finanzieren.

Ab wann wollen Sie das Geld denn einbehalten?

Wir wollen erst mal abwarten, ob sich etwas ändert und was sich ändert. Und wenn nicht sehr schnell etwas geschieht, wenn da wieder nur Schmeicheleien und leere Worte kommen, dann werden wir unsere Juristen damit beauftragen, diese Sache durchzuziehen. Wann wir exakt mit dem Steuerboykott beginnen, kann ich allein nicht entscheiden. Ich gehe aber davon aus, daß wir spätestens in sechs Monaten beginnen – wenn sich nichts verändert.

Wie war die Resonanz in der türkischen Bevölkerung? Werden sich türkische Arbeitnehmer dem Boykott anschließen?

Das ist denkbar.

Wie stellen Sie sich einen effektiven Schutz für die deutschen TürkInnen vor? Das ist ja gar nicht so einfach.

Es geht ja nicht nur um die Türken, sondern wir wollen alle anderen nicht deutschstämmigen Mitbürger mit einbeziehen, also Jugoslawen oder Italiener und auch die deutschen Minderheiten wie Homosexuelle oder Behindertengruppen. Die konkreten Schutzmaßnahmen stellen wir uns so vor, daß wir entsprechend ausgebildete private Schutzorganisationen finanzieren. Die sollen in den Gebieten, in denen sich viele türkische Geschäfte befinden, Wache halten im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten. Die sollen Leute beobachten, die solche Anschläge vorbereiten und diese verhindern.

Sie haben darüber hinaus ja auch politische Forderungen gestellt, zum Beispiel, daß sich Politiker und Immigranten an einen Runden Tisch setzen, um ein Gesamtkonzept gegen Rassismus zu entwickeln. Was fordern Sie außerdem?

Unsere weiteren Forderungen sind, daß Politiker aufhören sollten, ihr eigenes Versagen auf einige Minderheiten zu schieben. Die bisherige Ausländerpolitik hat uns in die jetzige Situation gebracht. Die Politiker und die deutschen Mitbürger müssen uns endlich mit anderen Augen sehen. Wir sind nicht nur die Leute, die hier die Gelder abzocken, sondern wir erfüllen in dieser Gesellschaft auch unsere Pflicht. Allein die Türken haben im vergangenen Jahr einen Solidarbeitrag von fünf Milliarden Mark für Ostdeutschland bezahlt. Unsere Forderung ist zunächst die Einführung des kommunalen Wahlrechts und später des allgemeinen Wahlrechts, damit wir hier als Menschen auch etwas zu sagen haben. Wir haben schließlich in den vergangenen 30 Jahren dazu beigetragen, daß Deutschland die jetzige wirtschaftliche Position erreicht hat. Auch die türkischen Unternehmer sollten sich die Frage stellen, warum sie hier weiter investieren arbeiten oder Leute beschäftigen sollen, wenn auf der anderen Seite Brandanschläge auf unsere Geschäfte oder Wohnungen verübt und Menschen getötet werden. Interview: Dorothee Winden